Süddeutsche Zeitung

Mitten in Solln:Ist das Kunst oder kann das weg?

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An der Wolfratshauser Straße verwirrt ein Plakat mit einer enigmatischen Botschaft die Autofahrer. Muss man eigentlich ein Bußgeld zahlen, wenn man sich davon vom Fahren ablenken lässt?

Von Jürgen Wolfram

Kunstinstallationen im öffentlichen Raum scheinen das ganz heiße Ding zu sein in diesem Sommer. Auf halbem Weg zwischen Solln und Obersendling, an der Wolfratshauser Straße, hascht eine stattliche Stellwand nach Aufmerksamkeit. Die kryptische Botschaft, schwarz auf weiß: "Dive into an experience. Reserved for the chosen few". Was will uns der anonyme Dichter damit sagen? Nun, das sollen die Kulturpolitiker beantworten, die für solche Sachen - diesmal eine Installation des Künstlers Maximilian Erbacher - gern die Patenschaft übernehmen. Vordringlicher zu klären wäre wohl, was uns die Straßenverkehrsordnung dazu sagen will. Gar nicht avantgardistisch, dafür auf Deutsch stellt das Regelwerk klar, welche Folgen es hat, wenn Leute am Steuer mit dem Handy telefonieren, Bücher lesen oder Kreuzworträtsel lösen. Geldbuße: selten unter 40 Euro.

Und was ist mit der Ablenkung von Verkehrsteilnehmern durch schreiende Reklameslogans oder Sinnsprüche, deren Sinn sich nicht erschließt? Gilt in diesem Fall das Motto: Kunst darf alles, Werbung sowieso? Zwar ist nicht immer zu verhindern, dass Autofahrer über Grundsätzliches meditieren, statt das Verkehrsgeschehen scharf im Auge zu behalten. Das hat schon mit der zweifelhaften Vorfreude auf einen langen Arbeitstag oder dem unerquicklichen Abstecher zur Schwiegermutter zu tun. Nervigen Kolonnenspringern und Dränglern würde man sogar wünschen, sie ließen sich philosophisch mal von Marie von Ebner-Eschenbach leiten statt von ihren Aggressionen: "Ausdauer ist eine Tochter der Kraft, Hartnäckigkeit eine Tochter der Schwäche." Kann man durchaus mal drüber nachdenken. Aber erst abends auf dem Sofa.

Damit ist natürlich noch nicht geklärt, wie sich das anfühlt, wenn man mitten hinein rollt in eine Erfahrung, die nur wenigen Auserwählten vorbehalten bleibt, den Happy Few. Ob hier das unbeschreibliche Glück angedeutet werden soll, ins Staugeschehen einzutauchen? Oder Quartier zu nehmen auf einem abenteuerlich überraschenden Preisniveau? Wahrscheinlicher ist eine andere Interpretation: Kunst muss nicht immer einen tieferen Sinn haben. Kann man bei der Hitze ohnehin nicht brauchen.

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Quelle:
SZ vom 01.09.2016
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