Mitten in Schwabing:Sehnsucht nach normalem Irrsinn

Heidekraut vergeht nicht: Die gleichnamige Theatergruppe führt nach monatelanger Zwangspause ein Stück auf, bei dem auch gelacht werden darf - sogar über Corona

Glosse von Claudia Wessel

Aber jetzt muss ich die Maske ja wohl absetzen." Der Mann, der das sagt, hat ein Sektglas in der Hand und möchte mit seiner Truppe vom Theater Heidekraut auf die gelungene Premiere des neuen Stückes mit dem Titel "Thunfischdosen und andere heikle Beziehungen" anstoßen, die am Wochenende im Sound Café an der Traubestraße stattgefunden hat. Eine Sekunde lang ist er verwirrt, dann klirren die Gläser.

Dass 579 Tage nach der letzten Premiere so manche Synapsen im Gehirn noch verklebt sind, ist kein Wunder. In dieser Zeit sind so viele Verordnungen und Wahrheiten niedergeprasselt, dass einfach nichts mehr klar ist. Und vor allem weiß keiner, wie lange es noch unklar bleibt. So musste der Masken-Verwirrte an diesem Abend an der Kasse nicht nur Namen auf der Liste abstreichen, sondern auch die 3-G-Regel kontrollieren und darauf achten, dass im Foyer keine illegalen Annäherungen stattfanden.

Trotz allem, es war ein glücklicher Tag für das Ensemble. "Wir sind eine Theatergruppe, die die Corona-Krise überlebt hat", sagte froh die Darstellerin von Elisabeth I., Heidi Rohde. Und Regisseurin Gudrun Skupin erläuterte erleichtert, wie man das geschafft hat: "Wir machen das, was geht, trotz Corona." So etwa besteht das aktuelle Stück abstandskonform aus fünf Monologen. Es sprechen Lady Macbeth, Königin Elisabeth I., ein Stalking-Opfer, ein entlassener Manager und eine namenlose Frau. Die Texte stammen aus "Macbeth" von William Shakespeare, "Maria Stuart" von Friedrich Schiller, "Schonzeit" von Stefanie Grob, "Top Dogs" von Urs Widmer und "Gebrüllt vor Lachen" von Christopher Durang. Dass auch die Proben schwierig waren, weil sie mal stattfinden durften, mal nicht, hat die Leidenschaft der Schauspielerinnen und des Schauspielers nicht trüben können. Sie entführen die kleine Zuschauerschar erfolgreich in die Welten von allerlei Beziehungswahnsinn.

Die letzte Heidekraut-Premiere vor 579 Tagen war nicht vom Glück gesegnet: Sofort danach war Schluss mit Theaterspielen. Diesmal geht es weiter mit Vorstellungen, jeden Samstag und Sonntag bis 24. Oktober. Die Schauspieler sehnen sich nach Zuschauern und umgekehrt. Eins sei noch verraten: Es darf im Stück auch gelacht werden. Sogar über Corona.

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