Süddeutsche Zeitung

Mitten in Schwabing:Natürlich ausgebremst

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Alle drängeln, hupen und überholen, selbst wenn die Lücke noch so eng ist. Und dann trotten gemächlich zwei Pferde vorbei, ziehen langsam ihre Kutsche, bringen den hektischen Verkehr zum Erliegen. Das tut gut. Wieso beeilen wir uns eigentlich?

Von Irmengard Gnau

Die Sommerferien sind vorbei, der Alltag hat die Stadt und ihre Bewohner wieder fest im Griff. Am frühen Morgen hetzt man los, in den Kindergarten, in die Schule, in die Arbeit. Es gilt, sich möglichst rasch durch den Verkehrsdschungel zu schlagen. Dann am Abend den gleichen Weg zurück - schnell, schnell, man will ja noch was haben vom Feierabend und den immer rascher schwindenden Sonnenstrahlen, vielleicht die letzten des Spätsommers. Der Puls steigt. Autofahrer drängeln ungeduldig, mancher macht dem inneren Druck durch den auf die Hupe Luft.

Doch der Lastwagen am Anfang der Schlange will sich einfach nicht in Luft auflösen. Auf dem Fahrradweg geht es nicht minder eng zu. Der schnittige Rennradler sucht waghalsig die nächste Gelegenheit, um eine Seniorengruppe zu überholen. Der gemeine Berufspendler-Radler versucht das Tempo mitzuhalten und noch bei grünem Ampellicht über die Leopoldstraße zu gelangen. Dies natürlich stets mit einem wachsamen Auge auf die paar Lederhosenträger, die der dumpfen Bierseligkeit der Theresienwiese entfleucht sind und nun recht unsicher in Schwabing über die Straßen wanken. Da, eine Lücke! Schnell hinein gestoßen und so ein paar Meter gutgemacht, bevor schon die nächste Baustellenverengung naht. Jetzt aber draufhalten.

Da biegt um die Ecke ein Pferdegespann. Der ganze, gehetzte Tross aus Autos und Fahrradfahrern muss abbremsen und zusehen, wie die Kutsche auf ihrem Weg vom Englischen Garten zu ihrem Unterstand die Straße quert. Gemächlich trotten die beiden Rösser über den Asphalt. Kein Motor dröhnt, kein Reifen quietscht, jeder kann hören, wie die Hufe klappern. Ein schönes Geräusch, so ruhig und gleichmäßig. Gar nicht gehetzt. Und auch die Vögel zwitschern so freundlich in den Abendhimmel - war das schon die ganze Zeit so?

Wenn man es recht bedenkt, ist es vielleicht doch nicht so wichtig, fünf Minuten früher anzukommen. Entschleunigt zu fahren hat durchaus auch seine liebenswerten Vorteile.

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Quelle:
SZ vom 30.09.2016
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