Mitten in Schwabing:Mit Rücksicht liefe es besser

Wenn eine Rolltreppe nach oben fährt, lässt sie sich oft kaum mehr umkehren - dafür sorgt der stete Strom der nachrückenden Fahrgäste

Kolumne von Renate Winkler-Schlang

Wenn Schnee fällt, fahren selbst die meisten Zweirichtungs-Rolltreppen zwischen Sperrengeschoss und Oberfläche bei der U-Bahn nur in eine Richtung: nach oben. Umso glücklicher ist die Münchnerin mit Krücken und einem Rucksack voller Einkäufe am Bahnhof Giselastraße, dass die Fahrtreppe hinunter zu den Gleisen eine echte Zweirichtungs-Treppe ist. Geduldig platziert sie sich oben am potenziellen Einstieg, der gerade noch ein Ausstieg ist, denn das Fahrwerk transportiert im Moment Menschen aufwärts. Macht nichts, irgendwann wird der Strom der Fahrgäste schon versiegen. Denkt sie.

Sie steht etwas schräg versetzt, sie will keinem lästig fallen. Sie steht aber durchaus so, dass die Leute, die unten die Treppe besteigen, sie sehen können. Mit ein bisschen Aufmerksamkeit, großstädtischer Lebenserfahrung und Kombinationsgabe könnten sie auch sehen, dass dort oben jemand wartet, bis die Treppe ganz leer ist, denn nur dann kehrt diese nach einer kurzen Sicherheitspause um. Es sind meist junge Menschen - sie sehen alle aus, als hätten sie zwei gesunde Beine. Keiner trägt besonders schwere Lasten, keiner schiebt einen Kinderwagen.

Oben hat sich inzwischen eine weitere, ältere Frau angestellt. Doch es will einfach keine Lücke entstehen. Schon wieder spuckt ein Zug Rolltreppenfracht auf den Bahnsteig. Da nimmt sich die zweite Frau ein Herz, pfeift auf die knieschonende Beförderung, geht zu Fuß nach unten. Sie will der anderen helfen, stellt sich unten vor den Rolltreppeneinstieg und breitet die Arme aus, einen verlängert mit einem Schirm. Ein freundlicher Herr erfasst den Plan und versucht ebenfalls, die nächsten Passanten von der Rolltreppe wegzulotsen. Keine Chance. Im Großstadtdschungel geübte Passagiere passieren beide Hindernisse mit Bravour. Als die zwei perplexen Helfer sich eine wirkungsvollere Strategie überlegen wollen, sehen sie, wie sich oben die Krücken bewegen. Stufe für Stufe setzt die vom Warten zermürbte Frau erst ihren gesunden, dann ihren orthopädisch versorgten Fuß auf, gestützt auf die Krücken. Es sind verdammt viele Stufen.

Unten angekommen, sinkt die Frau matt auf die Wartebank neben ihre erfolglose Helferin. Die Treppe rollt immer noch. Nach oben.

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