Süddeutsche Zeitung

Mitten in Ramersdorf:Gespräch unter Zaun-Gästen

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Firma, Feuerwehr, Polizei, Jung-Jurist, Ingenieur oder Architekt: Wer ist zuständig, wenn plötzlich die Baustellen-Absicherung ihren Geist aufgibt?

Von Renate Winkler-Schlang

Die Familie sitzt traut vereint beim Weihnachtskaffee, plötzlich ein lautes Scheppern gegenüber. Der Bauzaun rund ums neue, schwarze Holzhaus - wir hoffen sehr, dass sie da nach den Feiertagen helle Bretter hinnageln - landet krachend auf der Straße. Alle hängen am Fenster und spähen an den Strohsternen vorbei.

Was tun? Dem Ingenieur ist bekannterweise nichts zu schwör: "Den räum' ich halt schnell weg, da kommt ja sonst keiner vorbei." Schon ist er draußen. Der Jung-Jurist wiegt den Kopf: "Dann ist die Baustelle nicht mehr gesichert und er haftet, wenn sich da ein Kind verletzt." "Normal holt man da die Feuerwehr" - der Schwager aus Biberach ist Floriansjünger, der muss es wissen. "Die Feuerwehrler trinken jetzt auch Kaffee", wenden die Frauen am Tisch fürsorglich ein. "Irgendwo brennt ohnehin längst ein Baum", erwidert der Schwager trocken.

Die Lage wird lang und breit erörtert. Der Familienvater erreicht dann sogar jemanden von der Firma, die an einem Zaunelement ein Transparent mit Nummer angebracht hat. Doch dieser Jemand erklärt sich für nicht zuständig, man habe bloß den Keller gemacht. Also noch schnell, bevor das Christkind kommt, die Polizei informiert. Die Beamten nehmen's zur Kenntnis. Am ersten Feiertag kommt der Installateur vorbei. Er werde den Architekten des Bauherrn informieren, versichert er.

Die Familie trifft sich mit anderen Verwandten zum Weihnachtsessen. Der Architekten-Schwager erzählt, normale Passanten müssten da nichts tun, er aber hätte als Spaziergänger den Ort sichern müssen - von Berufs wegen: Es gebe da so ein Präzedenz-Gerichtsurteil, denn Architekten wüssten ja, wie gefährlich eine offene Baustelle sei.

Weihnachten vorbei, der Rohbau war am Dienstag immer noch zugänglich, es hatte keiner eingegriffen. Aber ehrlich gesagt: Es ist egal, denn auch vorher mit Gatter konnte jeder, der mal schauen wollte, ob das Haus auch innen schwarz ist, leicht aufs Grundstück schlüpfen.

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Quelle:
SZ vom 28.12.2016
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