Süddeutsche Zeitung

Mitten in Pasing:Der Gartengeist und seine Karre

Wie tröstlich, dass man sich selbst im ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen auf manche Dinge scheinbar felsenfest verlassen kann

glosse Von Jutta Czeguhn

"Alles ändert sich", soll der Dichter Publius Ovidius Naso (43 v. Chr. - 18 n. Chr.) sinniert haben. Für ihn traf das gewiss zu, und eben auch wieder nicht. Als Literat hat er seine große Nase wohl allzu tief in die Angelegenheiten mächtiger Leute gesteckt. Jedenfalls schickte ihn Kaiser Augustus im Jahre 8 n. Chr. in die Verbannung nach Tomis am Schwarzen Meer. Mit der Luftveränderung musste sich der Autor der "Metamorphosen" letztlich dauerhaft abfinden. Trotz mehrerer Anläufe ließen sich weder Augustus noch dessen Nachfolger Tiberius erweichen, den genialen Versdichter ins geliebte Rom zurückzuholen. Ovid starb als Unperson in einer entfernten Ecke des Imperiums, Altertumswissenschaftler nehmen an, so um das Jahr 17 n. Chr. Zur Selbsttröstung, davon ist auszugehen, war dem entwurzelten Naturfreund auch am Schwarzen Meer ein Garten gestattet. In Ovids Versen begegnen einem etwa Pomona, die Göttin der Baumfrüchte, an die sich Vertumnus, der Gott der Jahreszeiten, heranmacht.

Über die Wandelbarkeit der Welt im Konstanten kommt jetzt im beginnenden Herbst ins Grübeln, wer beim verwunschenen Klostersee am Rande des Pasinger Stadtparks entlang spaziert. Vom Weg aus durch die dunklen Zaunlatten spähend, kann man sich dort ziemlich leicht rückkoppeln mit dem Werden und Vergehen - und dem Wiederwerden. Seit einer gefühlten Ewigkeit stellt der Gärtner der Congregatio Jesu seine Schubkarre an exakt die gleiche Stelle am westlichen Rand des stillen Weihers ab, in dessen Mittelinsel noch die Reste des uralten Pasinger Burgschlosses stehen.

Wie jeder naturnahe Mensch gibt sich auch der gute Gartengeist der Nonnen dem Rhythmus der Jahreszeiten hin. Sie bestimmen sein Tun, und den Inhalt seiner Karre. Mal legt sich Schnee auf den Haufen Zweige in der Wanne, im Frühjahr rieselt Regen auf Grünschnitt, im Sommer tanzen Insekten über der Karre. Und jetzt, wo es nach Herbst riecht, wirbelt der Wind eine Fuhre Blätter hoch. Die Cariola, die ja eigentlich ein bewegtes Leben führen muss, steht an ihrem Platz, egal wann man bei ihr am Weiher vorbeikommt. Und das ist unglaublich tröstlich.

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SZ vom 14.09.2021
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