Mitten in Obersendling:Trotzhaltung der freundlichen Art

Wenn schon das Coronavirus die Besucher fernhält, dann kommt eben das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu seinen Zuhörern

Kolumne Von Jürgen Wolfram

Am Ticketschalter in Harlesiel, Ostfriesland. Frage: "Kann es sein, dass die Fähre zur Insel Wangerooge Passagiere und Gepäck getrennt befördert?" Mit der Antwort wird der Gast gleich mal richtig eingenordet: "Sie können auch einen Geldkoffer rüberschicken und selbst am Festland bleiben. Wäre uns sowieso am liebsten." Man sieht: In der Heimat von Otto Waalkes und Henri Nannen bedarf die Tourismusfreundlichkeit noch eines frischen Aufwinds. Andererseits benötigen die Leute all ihre Kraft zur Erhöhung der Deiche, denn die nächste Sturmflut kommt bestimmt. Daher der ewige Schlachtruf "Trutz, blanke Hans".

Eine gallige Abwehrhaltung ist auch in München zu beobachten. Hier gilt aller Trotz der Spaßbremse Corona. Ein Vorbild in dieser Hinsicht ist zweifellos das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Nach dem Motto "Wenn Sie schon nicht zu uns kommen können, kommen wir eben zu Ihnen" hat dieses Ensemble kürzlich Hofkonzerte verlost. Unter den glücklichen Gewinnern: die Stadtteilinitiative "Ü60 aktiv" von der Obersendlinger "Südseite".

Auf der Freifläche vor dem Sternenhimmel-Hochhaus spielte Hermann Menninghaus auf, der Solo-Bratschist des Orchesters. Bach und ungarische Weisen unter strikter Einhaltung der Pandemie-Auflagen - ein ungewöhnliches Erlebnis. "A bisserl was geht eben immer", kommentierte Initiativen-Sprecher Wilfried Buchsteiner das "erstarkende Lebenszeichen der Kultur".

Nebenbei festigte sich der Zusammenhalt der Bewohner des jungen Stadtquartiers, Distanzregeln hin oder her. Und der Ton blieb allzeit nachbarschaftlich. Jedenfalls riet niemand dazu, auf dem Balkon zu bleiben, am Beifall zu sparen und Geldkoffer ins Funkhaus zu schicken.

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