Mitten in Neuried:Debattieren für den Ironman

Der Gemeinderat vertraut die Übertragung seiner Sitzungen im Internet einem erfahrenen Ausdauer-Streamer an

Kolumne von Johannes Korsche

Es ist bei jedem Job, der vergeben wird, das Gleiche. Eigentlich sagt die Person, die eine Zusage erhält, mehr über den Einstellenden aus als über den Eingestellten. Das gilt auch für die Anbieter von Livestreams politischer Sitzungen. Der Münchner Stadtrat macht das ja schon seit Jahren. Mancher Bezirksausschuss will nun nachziehen. So auch der Neurieder Gemeinderat, der eben jenen Streamer-Job vor Kurzem vielsagend vergeben hat. Der ausgewählte Anbieter hat, so verkündete er es selbst unter dem Live-Video der vergangenen Bauausschuss-Sitzung, den Ironman 2018 live auf Facebook übertragen. Jenen Höllenritt also durch die hawaiianische Hitze, bei dem sich Menschen freiwillig Unmenschliches antun. Zur Erinnerung: 3,86 Kilometer Schwimmen, dann 180,2 Kilometer Radfahren und dann als krönender Abschluss noch ein Marathon (42,195 Kilometer). Vielleicht ist der Marathon zum lockeren Auslaufen gedacht. Wer weiß schon, was in Köpfen vorgeht, die sich so etwas ausdenken. Die Siegerzeit 2018 lag bei 7:52:39 Stunden.

Die damalige Übertragung muss für den Zuschlag in Neuried größtes Argument gewesen sein. Denn die Gemeinderäte stehen selten im Verdacht, sich durch ihre Tagesordnung zu hetzen. Entscheidungen werden gerne vorberaten, bevor sie beraten, bevor sie getroffen, bevor sie nachberaten werden. Eine Debatten- und Streitkultur, auf die sie stolz seien und die sie beibehalten wollen, so hörte man es von mehreren Gemeinderäten vor und nach der Kommunalwahl im März. Sicherlich, im Vergleich zum Ironman sind die körperlichen Anstrengungen eher vernachlässigbar. Nicht umsonst heißt es bei den Politikern schließlich "Sitz-ung". Und auch knapp acht Stunden Debatte haben die Neurieder, so viel bekannt ist, bisher nicht geschafft. Noch nicht. Dass die Gemeinde daher auf erfahrene Ausdauer-Streamer setzt, ist da nur logisch.

Gleicht sich die Sitzungs- immer mehr der Ironman-Dauer an, könnte die Gemeinde nach der Corona-Pandemie noch etwas vom Ironman übernehmen: Catering. Einen Hungerast erleiden schließlich nicht nur Triathleten.

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