Mitten in München:Uni-Live-Chat mit Fliegerbombe

Wenn die eigene Bude virtuell zum Seminarraum wird, kann es schon mal zu kleinen Irritationen für die Mitstudierenden kommen

Kolumne von Ilona Gerdom

Ans Ende der Sommerferien erinnert man sich noch heute. Nach sechs Wochen war es immer das gleiche Gefühlschaos: Auf der einen Seite Unmut wegen der Aussicht auf Hausaufgaben, auf der anderen Vorfreude auf die Mitschüler. Geändert hat sich daran nichts. Endlich die Kommilitonen wiederzusehen, ist definitiv das Highlight zum Start des Studienhalbjahrs. Diesmal aber nicht in der Uni, sondern am Bildschirm zuhause. Willkommen zum ersten digitalen Hochschulsemester.

Beim Dozenten macht sich erst einmal Erleichterung breit. Alle der knapp 40 Studierenden haben es problemlos in den Videochat geschafft. Eine jedoch verkündet gleich, es könne sein, dass sie spontan wegmüsse. Vor ihrer Wohnung sei eine alte Fliegerbombe gefunden worden. Vielleicht wird evakuiert. Dann solle man sich bitte nicht wundern. Kaum drei Minuten im Kurs, klopft es in einem anderen Bildschirmfenster an der Tür. Der Mitbewohner streckt den Kopf herein. Als klar wird, dass hier gerade Uni angesagt ist, verschwindet er schnell wieder. Das Seminar selbst beginnt mit einer kleinen Umfrage. Wie denn die Stimmung auf einer Skala von eins bis zehn sei? Gar nicht so schlecht, stellt sich heraus. Wer übrigens dachte, dass der Unterricht von der Pandemie ablenkt, der hat sich geirrt. Denn Thema des Seminars ist - genau - Covid-19. Wenn eh alle Wege nach Corona führen, warum dann nicht gleich eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Krise?

Am Ende muss niemand evakuiert werden, und auch sonst läuft der Live-Chat überraschend reibungslos. Einen faden Beigeschmack hat's aber. Normalerweise würde man sich jetzt draußen im kleinen Kreis einfinden, eine bis fünf Zigaretten rauchen und den Kurs Revue passieren lassen. Wann das wieder geht, steht in den Sternen. Bis dahin bleibt einem die Vorfreude.

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