Um zu wissen, was Tonglen bedeutet, müsste man idealerweise ein Mal im Leben in Tibet oder in Indien gewesen sein. All denjenigen, die das noch nicht geschafft haben, eröffnet sich nun dennoch ein "Weg zur Erleuchtung", ein befreiendes Mitgefühl mit allen Wesen der Welt. Man nimmt ihr Leiden auf, verwandelt es im Geiste in Glück und sendet dieses postwendend zurück. Die Chance, es zu probieren, gibt es demnächst auf dem Luise-Kiesselbach-Platz, beim "gemeinsamen Mitgefühlsritual für die Erde", das die Künstlerin Lore Galitz am Samstag, 23. Juni, um 14 Uhr veranstaltet. Jahre hinweg hat der Mensch, der dort partout den Südwest-Tunnel bauen musste, der Erde zugesetzt, die Steinbrache an der Oberfläche zeuge heute noch von dem Wundmal. Ein paar Bäume habe man zwar inzwischen gepflanzt, dennoch "bedarf die Erde dort noch unseres Mitgefühls", erläuterte die Künstlerin vergangene Woche im Bezirksausschuss Sendling-Westpark.
Wer also all das Leid einatmen will, das der Mensch der Erde angetan hat, und es als Gutes wieder seinen Lungen entströmen lassen will, kann mitmachen. Man meditiert in einem Kreis mit dem Durchmesser von 2,60 Meter, aus einem erdfarbenem Stoff auf die Brache drapiert. Danach geht es in einer Prozession entlang der gesamten früheren Baustelle bis kurz vor Beginn der Lindauer Autobahn, wo das Nehmen und Geben zum Wohle der Erde erneut praktiziert wird.
Angesichts der unzähligen Baustellen, die in der Stadt wie offene Wunden klaffen, kann dies ein bescheidener Anfang sein. Als nächstes sollte man ein Sit-In am Marienhof ansetzen, wo für die zweite Stammstrecke kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Danach sollte man die eisernen Maulwürfe quer durch die Stadt durch eifriges Tonglen begleiten.
So gut wie sicher ist, dass der Mensch vom Tonglen profitiert, wenn er das Böse zum Guten wendet, aber es kostet viel Kraft. Nach der Performance am Südwest-Tunnel werden sich die Teilnehmer im Westpark "selbst mitfühlend stärken". Nicht mit dem Blut der Erde, also dem Wein, aber mit Saft und Kuchen.