Mitten in München:Der Mief der weiten Welt

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Das Warten im Zentralen Omnibus-Bahnhof (ZOB) ist nicht immer angenehm - vor allem bei Regen oder Kälte

Von Nicole Graner

Da wartet man also. Manchmal auch lange. Im Zentralen Omnibus-Bahnhof (ZOB) an der Hackerbrücke. Auf Busse aus fernen Landen, die aus Zagreb, Sarajevo oder Istanbul kommen, aus Barcelona oder Rom. Wenn man auf seinen Liebsten wartet oder auf jemanden, den man lange missen musste, werden die Minuten zu Hefeteig. Sie gehen und gehen nicht vorbei. Natürlich könnte man im oberen Stockwerk des ZOB ausharren. Aber einkaufen nach 20 Uhr kann man nicht, und in der Diskothek "Neuraum" wagt man kein schnelles Tänzchen zu lauten Beats, wenn man doch nicht weiß, wann der Bus genau kommen soll. Versäumen will man die Ankunft des doch lang Ersehnten keinesfalls. Man wartet also. Nur wo?

Das grüne Flix-Bus-Häuschen ist voll. Ein Kind wird gestillt, es wird geschlafen. Es müffelt - nach Koffern, nach Essen, nach Körpern. Die Tür aufmachen will man nicht. Zu kalt an jenem Abend. Vor dem einzig geöffneten Info-Schalter steht eine Schlange. "Wann kommt der Bus?", fragt eine Frau verzweifelt. "Kann es sein, dass er eine Verspätung von zwei Stunden hat?" Ja, es kann. Auch sie muss warten. Hier drinnen? Im Mief. Nö, dann doch lieber draußen in der Kälte.

Die hölzernen Sitzbänke, die nicht mitten in der Zugluft stehen, sind besetzt. Von Menschen mit schwerem Gepäck. Da ein Rucksack, der auf einem Sitzplatz ein Nickerchen macht, da eine riesige Tüte. Alles voll. Ein leerer Platz, hurra! Doch da stinkt es gewaltig. Eine undefinierbare Flüssigkeit ziert den von flach getretenen Kaugummis und Zigarettenstummeln übersäten Boden. Und auf die einzig verbliebene Bank? Nein, da möchte man sich nicht hinsetzen. Sie starrt vor Dreck. Tauben, die in verwinkelten Gestängen dem Treiben von oben zusehen, markieren den Boden mit ihren Hinterlassenschaften. In denen dann auch so mancher Koffer landet.

Ja, das Warten im ZOB ist nicht angenehm. Das einzig Schöne: Wenn sich Menschen um den Hals fallen, die sich endlich wiedersehen. Oder sich zum Abschied innig küssen, Schokolade und Liebesgrüße in Manteltaschen verschwinden. Wenn gewunken wird, bis der Bus verschwunden ist. Und wenn man diesen Ort wieder verlassen kann.

© SZ vom 03.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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