Mitten in München:Der Mann im Cockpit

Manchmal vergeht in der U-Bahn nicht nur die Zeit wie im Flug, man fühlt sich sogar wie im Flugzeug - wenn der Fahrer wie ein Pilot spricht

Von Berthold Neff

Wenn jemand eine Reise tut, dann hat er was zu erzählen. Und auch wenn die Fahrt von Hadern nach Berg am Laim mit U- und S-Bahn meist nur etwa 50 Minuten dauert, ist sie mitunter mit dem einen oder anderen Abenteuer verbunden. Wo sonst käme man mit seinen Mitmenschen hautnah in Kontakt? Man hat während einer solchen Fahrt Richtung Marienplatz mehr als genug Zeit, die Physiognomie des Gegenübers zu studieren und sich zu fragen, ob die frappierende Ähnlichkeit zwischen Herrchen oder Frauchen und dem Vierbeiner auf dem Schoß schon zu Beginn dieser Beziehung bestanden hat oder ob es sich dabei um eine neue Facette der Evolution handelt: Ich will so werden, wie du schon bist.

Normalerweise ist man aber mit der Zeitung beschäftigt. Diejenigen, die sie in ihrer digitalen Form lesen, blättern mit einem Wisch hindurch und finden sich mit ihren Adleraugen auch auf kleinen Smartphones zurecht. Unsereins braucht zur Lektüre reichlich Armfreiheit. Aber dann geht's los. Flugs ist man in fernen Welten, kreuzt mit einer spanischen Corvette vor Gibraltar, erfährt staunend, dass die Affen durchaus erkennen, wenn wir Menschen auf dem Holzweg sind und dass man in Athen mit der Trambahn bis ans Meer fahren kann, während bei uns die Linie 19 das Pendeln zwischen Pasing und der St.-Veit-Straße (eine Weltreise übrigens auch das) gerade völlig verweigert.

Wir hingegen kommen sehr gut voran. Die Motoren drehen auf, das Draußen verschwimmt zu einer diffusen Schwärze, jetzt düsen wir schon mit Höchstgeschwindigkeit dahin, und während man mit Interesse liest, dass einen Egyptair ab ca. 400 Euro nach Hurghada und im Idealfall auch wieder zurück bringt, ertönt die Stimme des Mannes aus dem Cockpit. Er redet in diesem fein modulierten, englisch klingenden Singsang, der zeigt, dass Piloten einen Großteil ihrer Ausbildung in den USA absolvieren und das Englische so auf ihr Deutsch abgefärbt hat, dass es ihnen einen Hauch von Weltläufigkeit verleiht und sie in Kombination mit der Uniform so attraktiv macht wie einen Sascha Hehn mit Offiziersmütze auf dem ZDF-Traumschiff.

Die Passagiere jedoch schauen sich verwundert an. Jene, in deren Ohren keine Stöpsel stecken, so dass sie hören, was ringsherum geschieht, schmunzeln, einige lachen. Dabei hat der Mann mit seinem Piloten-Singsang gar nicht gesagt: "Meine Damen und Herren, bitte schnallen Sie sich an, wir beginnen in Kürze mit dem Landeanflug." Er gab auch keinen Hinweis darauf, wie sich das Wetter am Zielort präsentiert, er sagte einfach nur im Piloten-Ton: "Meine Damen und Herren, nächster Halt Marienplatz." Bleibt nur noch zu erwähnen, dass die Passagiere die geglückte Landung nicht mit einem satten Applaus feierten. Klar, war ja kein Charterflug.

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