Mitten in Harlaching:Statussymbol mit zwei Rädern

Von der SUV-isierung des Fahrrads oder wie vor allem mittelalte Männer ihre 25 Kilogramm schweren Mountainbikes mit tief gekerbten, extra-breiten Motocross-Rädern bestücken

Glosse von Benjamin Stolz

Wie schafft man den Spagat zwischen dem 21. Jahrhundert und einem Hauch von BRD-Noir? Wie lässt sich der Wunsch nach einem modernen Lebensstil mit Bausparer, Braunkohle und einem mächtigen fahrbaren Untersatz vereinbaren? Nein, es geht hier nicht um die Zukunft der CDU, sondern um ein radikales Experiment, das die Bürger von Harlaching seit einiger Zeit erfolgreich betreiben. Wir wollen es die SUV-isierung des Fahrrads nennen.

Selig die Tage, an denen begeisterte Hobbyradler noch mit der karbongestärkten unerträglichen Leichtigkeit ihrer Rahmen prahlten. Was heute bei Schönwetter zwischen Harlachinger Berg und Perlacher Forst über sauber von der Fahrbahn getrennte Radwege donnert, sind zweirädrige Rennmaschinen mit Rahmen aus dreieckigen Stahlbauträgern. In der Vorstadt, kann man sagen, hat ein Wettrüsten begonnen: Fahrräder werden mittels Elektromotoren mit der Stärke von sechs Schlagbohrmaschinen aufgemotzt. Halb funktionierende Blechklingeln werden durch Tröten aus Chrom ersetzt, traurig flackernde Dynamolichter von Miniatur-Flutlichtanlagen abgelöst.

Vor allem mittelalte Männer bestücken ihre 25 Kilogramm schweren Mountainbikes mit tief gekerbten, extra-breiten Motocross-Rädern. Wenn sie damit den fast übertrieben glatten, sauberen Vorstadtasphalt entlangdüsen, dann klingt das wie das Heulen einer Sirene oder eines einsamen Wolfs auf Beutezug. Es ist das Geräusch des Bürgerstandes, der die suburbanen Radwege für sich beansprucht. Apropos breit. Beim Streifen entlang der Einfamilienhäuser im Speckgürtel muss man sich gelegentlich fragen, wie manche Leute fünf SUV-isierte Räder und zwei Autos in einer Garage unterbringen. Gibt es mehrere Tiefgeschosse? Haben die Fahrräder ein eigenes Zimmer in einem ungeheizten Seitentrakt?

Ein paar trendbewusste Menschen in Harlaching besitzen neuerdings "Bakfiets". Hinter diesem Begriff verbirgt sich keine Kieler Kuchenspezialität, sondern ein schweres holländisches, oft dreirädriges Lastenrad. Diese meist nur halb gefüllten, aber den Radweg gleich zweispurig ausfüllenden Boliden verursachen regelmäßig Transit-Staus auf dem Weg zur italienischen Pizzeria oder zum französischen Bäcker. Samstagvormittag auf dem Radweg im Viertel, das sind Zustände wie ein nationaler Fenstertag auf der Brenner-Autobahn.

Die Bürger von Harlaching hatten wahrscheinlich immer schon eine eigene Vorstellung davon, wie man sich selbst und die Welt ein bisschen besser macht, und das will ihnen auch niemand absprechen. Ist ein Mayonnaise-Salat nicht auch ein Salat? Ist das da hinter dem Pool etwa kein Komposthaufen? Fährt ein E-Bike nicht bleifrei? Also bitte.

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