Mitten in der Altstadt:Hypnose auf dem Fließband

Der Mensch verbringt ein Gutteil seiner kostbaren Lebenszeit auf Rolltreppen. Er könnte diese Zeit durchaus sinnvoll nutzen

Kolumne von Jutta Czeguhn

Auch wenn man lieber zu Fuß gehen sollte, weil täglich 15 Minuten intensives Treppensteigen im Jahr doch immerhin 8000 Kilokalorien verbrennen soll: Der Mensch verbringt ein Gutteil seiner kostbaren Lebenszeit auf Rolltreppen. Wenn man nicht zu jenen gehört, die auf der Gehspur ("rechts stehen, links gehen!") beschleunigt nach oben oder unten drängeln, steht man auf den Metallstiegen als Transportgut halt so rum, und es geht dahin, EU-standardisiert mit maximal 0,75 Metern pro Sekunde oder 2,7 Stundenkilometern.

Die meisten Rolltreppenfahrer machen sich kaum Gedanken, wie sie diese Zeit sinnvoll nutzen könnten. Sie stieren nur abwesend ins Nichts oder auf das Display ihres Handys, was in etwa dasselbe ist. Dabei gebe es viele wirklich schöne Beschäftigungsmöglichkeiten. Man könnte beispielsweise darüber nachsinnen, welcher geniale Geist die Rolltreppe einst erfunden hat. Nun, das war vor 127 Jahren ein Ingenieur aus dem Rinderstaat Kansas namens Jesse Reno, er entwickelte ein Förderband, auf dem man wie auf einem Pferd Platz nehmen konnte.

Wem das im Grunde wurscht ist, der könnte auf dem Fließband von MVG oder Deutscher Bahn auch Vokabeln büffeln, für eine Sprache, die er schon immer mal lernen wollte. Nur ein Vorschlag: Koreanisch. Mit Zettelkasten, am besten aber einer App. Oder man gönnt sich die Zeit, um darüber nachzudenken, wie zahlreich und gefährlich die Bakterien sind, die auf dem Handlauf der Rolltreppe lauern. Doch um diese Keimschleuder zu untersuchen, bräuchte man eine UV-Lampe, und die hat man halt nicht immer dabei.

Das Nützliche mit dem Praktischen verbunden hat kürzlich ein junger Mann, der bei seiner Rolltreppenfahrt am Bahnhof Isartor zur allgemeinen Verblüffung der Mitfahrer Kartentricks übte. So lässig und fingerfertig ließ dieser Magier die Blätter in seinen nicht vorhandenen Hemdsärmeln auftauchen und verschwinden, dass alles in eine kollektive Hypnose verfiel. Und man hoffte, diese Rolltreppenfahrt würde nie enden.

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