Mitten in der Altstadt:Boxenstopp an der Oper

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Opas einziger Besuch in München führte ihn vor knapp 100 Jahren zu Top-Sehenswürdigkeiten - an den Max-Joseph-Platz und ins Hofbräuhaus

Glosse von Jutta Czeguhn

Das Foto muss mit Selbstauslöser entstanden sein, falls es so etwas damals überhaupt schon gab, in den späten Zwanzigerjahren. Denn Opa war alleine losgefahren, mit dem Zug vom kleinen Bahnhof in seinem mährischen Dörfchen Stibnik bei Ostrau. Er, der Tempoberauschte, wollte sich seine NSU im fernen Ingolstadt selbst abholen und dann gleich noch etwas herumurlauben mit dem schicken, neuen Motorrad, ehe es wieder zurückging. So muss es also zu dieser verschwommenen Fotografie gekommen sein, die bis vor Kurzem vergessen in einem Album auf dem Dachboden vor sich hin gilbte.

Opa in München. In einer Stadt, die ebenso wenig wie er, der junge Mann, vom nächsten, fürchterlichen Krieg und den Verbrechen der NS-Diktatur ahnen konnte, weshalb dieses behagliche München dem heutigen Betrachter fast schon unheimlich vorkommt. Das Foto zeigt ihn auf dem Max-Joseph-Platz. Er kehrt der Kamera den Rücken zu. Seine Silhouette - der helle, wie immer kaum zu bändigende Haarschopf, Knickerbockerhosen - ist lässig dem Monument des Königs zugewandt. Opa blickt in Richtung Portikus des Opernhauses. Vor den Stufen parken Automobile, wie sie in Stummfilmen oder frühen Stan-und-Ollie-Klamotten herumschuckelten. Der Provinzler aus dem fernen Osten muss sehr beeindruckt gewesen sein von dieser prunken Piazza. Allerdings war Opa eher Rennsport-Fan denn Klassik-Connaisseur, weshalb er im Album neben dem Foto vom Nationaltheater in seiner schönen, schwungvollen Handschrift - in offensichtlicher Unkenntnis der Münchner Kulturverhältnisse - das Wort "Museum" notiert hat. Nun kann man so einen Singspieltempel ja berechtigterweise für eine etwas museale Angelegenheit halten, doch so ein Urteil lag ihm sicher eher fern.

Ein anderes Foto ist dann ein paar Schritte weiter vom Max-Joseph-Platz aufgenommen worden. Opa zog es ins Hofbräuhaus, den Steinkrug vor ihm ziert jedenfalls ein großes H. Er hat den Fotoapparat, der damals ja noch einiges Gewicht hatte, wohl einem anderen Gast am Tisch in die Hand gedrückt. Opa, der kein allzu engagierter Biertrinker war, schaut etwas fremdelnd und verlegen, aber doch irgendwie stolz drein, dass er es ins berühmte bayerische Bräuhaus geschafft hat. In seiner Hand glimmt eine Zigarette, er raucht, denn das durfte man ja damals dort noch ausgiebig.

So weit wir wissen, war Opa später nie wieder in München, nie mehr in seinem mehr als neunzig Jahre langen Leben. Doch sind wir fast sicher, dass es ihm dort sehr gefallen haben muss.

© SZ vom 11.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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