Mitten in Bogenhausen:Hornhaut auf den Nerven

In der Hektik des Münchner Verkehrs kann es schon mal vorkommen, dass sich zwei ins Gehege kommen und dass sich eine Radfahrerin mit dem Trambahnfahrer anlegt. Spätestens dann wäre es höchste Zeit für eine Pause - auch wenn es nicht punkt halb zehn ist

Kolumne Von Anna-Leandra Fischer

Morgens halb zehn in Deutschland könnte man mal Pause machen, das wusste schon ein Waffelschnitten-Werbespot in den Neunzigerjahren. Wer um halb zehn unterwegs ist, hat es entweder eilig, ins Büro zu kommen oder kann den Tag seelenruhig angehen. Die Radfahrerin, die die Ismaninger Straße entlangstrampelt, zählt offensichtlich zur ersten Gruppe und tritt ordentlich in die Pedale. Auch der Tramfahrer, der von hinten angerollt kommt, hat keine Zeit, denn er ist zwei Minuten im Verzug. Plötzlich: lautes Tramgebimmel, zwei Vollbremsungen, schrilles Kreischen. Da sind Mensch und Fortbewegungsmittel wohl haarscharf aneinander vorbeigeschrammt.

In der Straßenbahn weiß man noch gar nicht recht, was passiert ist, als sich die Radlerin beim Halt Sternwartstraße neben dem Fenster aufbaut und lautstark ihre Meinung über den Fahrer kundtut. Doch wer in München Bus, Tram oder Taxi durchs Verkehrsgewühl steuert, hat Hornhaut auf den Nerven: Der Mann bleibt gelassen und setzt seine Fahrt fort, ohne ein einziges Wort zu sagen. Der Fahrgast, der natürlich die Kopfhörer abgenommen und von der Lektüre aufgeschaut hat, ist schon fast enttäuscht: heute kein Ringkampf im Fahrerhäuschen. Doch das war's noch nicht, denn die Radlerin muss in die gleiche Richtung.

An den nächsten beiden Stopps Holbeinstraße und Friedensengel holt die Tram das Rad wieder ein. Bei offenen Türen findet die Sitcom ihre Fortsetzung: Die Frau schimpft, der Fahrer ignoriert sie, sie wütet weiter. Als die Tram erneut anfährt, schauen alle wieder aufs Handy oder aus dem Fenster - in der Hoffnung, die Show möge nun zu Ende sein. Diejenigen aber, die den Blick nach rechts richten, können die Radlerin einige Sekunden später beim erneuten Überholen noch immer schimpfen sehen.

Als man seinen Zuschauerplatz am Max-Weber-Platz verlässt, wünscht man der Frau, dass sie nur schlechte fünf Minuten hatte und daraus kein ganzer schlechter Tag wird. Und für den Trambahnfahrer hofft man, dass er von weiteren verbalen Attacken verschont bleibt und bald Pause machen kann. Die Waffelschnitte hat er sich nach so einem Vormittag redlich verdient.

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