Mitten in Berg am Laim:Peinliche Erweckung

Die Uhr tickt, aber der Busfahrer schläft. Zeit also, ihn aus seinem Power-Nickerchen in die Wirklichkeit zu holen, damit er pünktlich abfahren kann. Aber kann man es ohne zu Erröten verantworten, ihn unbarmherzig aufzurütteln?

Kolumne Von Renate Winkler-Schlang

Am U-Bahnhof Michaelibad die Treppe hochgehetzt, der Bus steht bereit. Hoffentlich fährt er nicht ab. Aufatmen, es ist noch Zeit, der Fahrer scheint sich hier an der Endhaltestelle noch die Beine zu vertreten. Er ist jedenfalls im Wagen nicht zu sehen. Der Fahrgast steigt ein, fällt ermattet auf den Logenplatz in der ersten Reihe, platziert die Aktentasche neben sich, schnauft durch. Und bemerkt den Fahrer: Schlafend hinterm Lenkrad, die Lehne in eine fast waagerechte Position gebracht, die Augen mit einer Sonnenbrille verdunkelt. Der Chauffeur schnarcht nicht, rührt sich nicht. Wird ihm doch nix passiert sein? Ein wenig aber hebt sich der Brustkorb des Ruhenden. Wovon er wohl träumt? Von Straßen ohne Baustellen und parkende Autos, von netter Kundschaft, Lohnerhöhung, Liebe, Lust, Leidenschaft?

Was, wenn der nun verträumt verschläft? Verpasse ich dann meinen Termin, fragt sich der gestresste Fahrgast besorgt. Wann genau muss der Bus starten? Da offenbart der Blick auf die Leuchtanzeige schräg über dem Kopf des Ungeduldigen, dass der Träumer noch eine Frist zum Tag-Dösen hat: "Abfahrt in zwei Minuten." Krampfhaft entspannt sich der Fahrgast. "Abfahrt in einer Minute." Die Sekunden schleichen. "Abfahrt in 0 Minuten." Nichts tut sich da vorn.

Was jetzt? Geduld üben oder den Mann am Steuer beherzt wachrütteln? Antatschen kommt natürlich nicht infrage. Anreden also. Räusper. Leise, respektvoll: "Abfahrt in 0 Minuten." Nichts zuckt hinter den dunklen Augengläsern. "Abfahrt in 0 Minuten, bitte nicht verschlafen." Der Fahrer reckt sich, ganz ohne den lästigen menschlichen Wecker auch nur eines Blickes zu würdigen, rückt die Lehne gerade, das Lenkrad in Fahrposition, schließt die Tür.

Da piepst es: Er hatte sich tatsächlich selbst den Wecker gestellt! Wie peinlich, denkt sich der voreilige Fahrgast und errötet ob seiner verbalen Übergriffigkeit. Er ist aber froh, dass der Chauffeur nun ausgeruht ist, frisch genug, alle Widrigkeiten zu umschiffen. Und mit seinem kleinen Power-Nickerchen hat der Mann nachweislich etwas getan für sein Immunsystem - auf dass dem MVV im Winter krankheitsbedingte Ausfälle und Chaos erspart bleiben. Fast könnte man ein bisschen neidisch werden auf diese kleine Chance für Gesundheits-Prophylaxe am helllichten Vormittag. Gähn!

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