Mit Kelle und gelber Warnweste:Rücksicht? Fehlanzeige

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Wer steht schon gerne frühmorgens bei jedem Wetter am Straßenrand und lässt sich von mies gelaunten Autofahrern anhupen? Brigitte Imhoff hat sich von all den Widrigkeiten nicht abschrecken lassen. (Foto: Robert Haas)

530 freiwillige Helfer haben sich im Münchner Kreisverwaltungsreferat zum Schulwegdienst gemeldet. Brigitte Imhoff ist eine von ihnen - die Aufgabe ist zuletzt schwieriger geworden. Wegen der Autofahrer

Von Melanie Staudinger

Ein kurzes Nicken für den Busfahrer, ein stürmisches Winken für den Semmellieferanten, ein kleines Lächeln für den Vater, der seine Tochter gerade vor den Türen der Grundschule an der Manzostraße aus dem Auto steigen hat lassen: Brigitte Imhoff kennt alle, die hier morgens unterwegs sind. Und alle kennen die liebenswürdige Frau, die jeden Schultag am Zebrastreifen auf Höhe der Gruithuisenstraße in ihrem hellgelben Mantel steht. Die für jedes Kind, egal wie schlecht gelaunt oder verschlafen es vor Schulbeginn sein mag, ein nettes Wort übrig hat. Die weiß, wie die Schüler heißen und sie mit ihrem Namen begrüßt. Und die doch so rigoros und streng sein kann - wenn einer sich nicht an die Regeln hält.

Seit 24 Jahren begleitet Brigitte Imhoff Kinder durch ihre Schulzeit und passt auf, dass keine Unfälle passieren. Menschen wie Imhoff sind sehr selten geworden in der anonymen Großstadt München. 134 staatliche Grundschulen gibt es, etwa 530 freiwillige Helfer haben sich im Kreisverwaltungsreferat zum Schulwegdienst gemeldet. An manchen Schulen reicht ihre Zahl aus, andere wiederum suchen sogar per Zeitungsanzeige nach Ehrenamtlichen. Aufsehen erregte Anfang des Jahres der Fall von Sultan Aami. Gemeinsam mit fünf anderen Flüchtlingen aus der Berufsschule für Berufsintegration an der Balanstraße wollte der gebürtige Iraker Schulweghelfer werden. Doch die Bürokratie war so groß, dass nur er es am Ende schaffte. Alle anderen durften entweder nicht oder haben entnervt aufgegeben.

Das komplizierte Verfahren verwundert, denn wirklich beliebt ist die Tätigkeit nicht. Wer steht schon gerne frühmorgens bei jedem Wetter am Straßenrand und lässt sich von mies gelaunten Autofahrern anhupen? Und wer hat nachmittags Zeit? Brigitte Imhoff hat sich von all den Widrigkeiten nicht abschrecken lassen. "Ich stehe eh immer früh auf", sagt die 56-Jährige. Ihre Nachbarn in der kleinen Reihenhaussiedlung wissen das: Imhoff kann man schon mal gegen vier Uhr morgens Fenster putzen sehen. An Schultagen bezieht sie um 7.15 Uhr ihren Posten - bei Sonnenschein ebenso wie bei Regen, Hagel oder Schnee. "Bei schlechtem Wetter benehmen sich die Autofahrer auch nicht besser", sagt Imhoff und lacht. An diesem Morgen trägt sie zusätzlich Handschuhe, denn selbst jetzt ist es in der Früh noch ziemlich kühl.

Zum Schulwegdienst kam sie eher zufällig. Als ihre Tochter noch in der Grundschule war, wurde am Elternstammtisch erzählt, dass der damalige Helfer erkrankt sei und man Ersatz suche. "Ich habe mir gleich gedacht, dass das was für mich ist", sagt Imhoff. Vorher hatte sie schon als Schulbusbegleitung geholfen, mit Kindern und deren Eigenheiten kennt sie sich aus. Sie rief beim KVR an, erhielt ein Buch mit den wichtigsten Regeln und lernte diese über Nacht. Am nächsten Morgen bestand sie die Eignungsprüfung und bekam ihre Kluft. Nach ein paar Wochen kam der alte Schulweghelfer zurück. "Es war gut, dass es ihm wieder besser ging, aber ich war doch auch traurig, dass alles vorbei sein sollte", sagt sie. Also machte sie weiter, stand an einer nahegelegenen Kreuzung und wechselte später zurück auf ihren Posten gegenüber der Schule.

Wenige dürften sich so gut mit der Geschichte der aggressiven Autofahrer in den vergangenen zwei Jahrzehnten auskennen wie Imhoff. "Unvernünftige gab es damals und heute auch. Aber die Moral allgemein ist um einiges schlechter geworden", sagt sie. Bestimmt 20 bis 30 Raser rauschten pro Monat an ihr vorbei. Rücksicht auf die Grundschüler? Fehlanzeige. Und dann sind da noch die Eltern, die ihre Kinder am liebsten in die Schule tragen würden und daher mit dem Auto im Halteverbot stehen bleiben. "Das kann schnell gefährlich werden", sagt Imhoff.

Imhoff sammelt immer eine kleine Gruppe Kinder, damit sie den Verkehr nicht zu oft stoppen muss. Nach getaner Arbeit radelt sie heim und frühstückt mit ihrem Mann. Ein Gutes hatte die Schulweghelfertätigkeit für ihr Privatleben bereits: Ihr Sohn hat seine jetzige Freundin so kennengelernt, sie ist die Tochter der anderen Ehrenamtlichen, die an der Manzostraße hilft.

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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