Spielstadt im Olympiapark:Mini-München ist das bessere München

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Im Rathaus von Mini-München laufen die Fäden zusammen. Gerade müssen die Politikerinnen und Politiker den großen Andrang vor dem Arbeitsamt in den Griff kriegen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

In der Spielstadt sind die Bürger zwischen sieben und 15 Jahre alt. Die Kinder gestalten hier ihre eigene Welt - viele Themen kommen auch Erwachsenen allzu bekannt vor.

Von Irmengard Gnau

Sebastiano schaut konzentriert durch den Sucher der Kamera. Er rückt die Figur vor der Kulisse noch ein kleines bisschen weiter nach rechts, schaut wieder, justiert die Drehung des Arms noch ein wenig nach. Nun passt es. Das Bild ist im Kasten. Neben ihm hält Albert schon den Hintergrund für die nächste Szene bereit. Es braucht Geduld für einen Stop-Motion-Film, das wissen die beiden, schließlich sind sie mit ihren zehn Jahren schon regelrechte Filmprofis.

Das Buch zu "Alien Atmosphäre" haben sie selbst geschrieben. "Wir arbeiten schon seit der zweiten Klasse daran", verrät Albert. Im Trickfilmstudio von Mini-München können sie ihren Stoff nun als Kurzfilm zum Leben erwecken - und mit etwas Glück sogar ins Kino kommen.

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Noch bis 17. August haben die beiden Freunde auf dem Areal am Rande des Olympiaparks die Gelegenheit dazu. Oder aber sie probieren sich als Mediengestalter, als Sozialforscher, Reporter, Schreiner, Koch, Taxifahrer, Straßenkehrer, Hochschulprofessor, Banker oder in einem der vielen anderen Berufe, die es in der Spielstadt gibt.

Gleich nebenan in der Popakademie trainieren sieben Mädchen gerade vor dem Spiegel. Die Choreografie muss sitzen, schließlich wollen sie damit bei "Mini-München sucht das Supertalent" überzeugen und möglichst beim Finale am Donnerstag dabei sein. Die Betreuerinnen Kassandra Dunkel und Adriana Gregorio überlegen, ob sie bei der Mini-Disco am Abend Eintritt verlangen, als ein Rathausbote mit froher Kunde das Zelt betritt.

Der Antrag auf Zuschüsse von der Stadt wurde bewilligt, die Akademie kann sich endlich neue Kulissen leisten. Den Auftrag wird wohl die Kunstakademie erhalten. Dort arbeitet eine Gruppe junger Künstlerinnen gerade an einem Entwurf für einen Brunnen für das Neubaugebiet an der Hangkante. Kunst am Bau quasi.

"Wir wollen vermitteln, wie alles mit allem zusammenhängt", sagt Marion Schäfer vom Verein Kultur und Spielraum, der Mini-München zum 19. Mal organisiert. Die Bürger, alle zwischen sieben und 15 Jahre alt, können in den drei Wochen erfahren, wie die Kreisläufe in einer Stadt funktionieren, zwischen den Werkstätten im Handwerkerhof, dem bunten Mini-München Einkaufsparadies MiMEP, der Bank, dem Rathaus und dem Arbeitsamt.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Im Neubaugebiet an der Hangkante sind Bauarbeiter und Schreiner eifrig dabei, die ehrgeizigen Pläne von Mini-München-Architekten umzusetzen. Wären da nur nicht die hohen Kosten, die sich kaum noch ein Bürger leisten kann.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Zum Glück hat der Stadtrat das Problem erkannt.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Andrang am Arbeitsamt ist enorm, auch darum müssen sich die Politiker im Rathaus von Mini-München dringend kümmern.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Wer noch keiner Beschäftigung nachgeht, zum Beispiel bei der Stadtreinigung,...

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

...der findet in der Spielstadt auch gemütliche Orte, an denen man in Ruhe Zeitung lesen kann.

Jeder ist Bürger, Mitarbeiter und zugleich Konsument. Dabei spielen die Kinder und Jugendlichen - mehr als 12 000 waren es bereits in der ersten Woche - nicht die Welt der Erwachsenen nach, sie gestalten ihre eigene Stadt und nutzen die Freiräume, die das Konzept ihnen bietet. Vom Neubaugebiet her zum Beispiel klingt eifriges Hämmern. Trotz der Hitze arbeiten Schreiner, Zimmerer und Architekten eifrig - nach ihren eigenen Plänen und Ideen. Die ersten Holzgerüste lassen bereits ambitionierte Formen erkennen.

Im Amtszimmer des Stadtrats redet Selim sich derweil ein wenig in Rage. "Um verantwortungsbewusst wählen zu können, braucht es Erfahrung." Marlene überzeugt das nicht. "Wir wollen Politik für alle machen, nicht nur für die Vollbürger", sagt sie und erntet ein heftiges Nicken von Paul. Die fünf Stadträte, Oberbürgermeister Sascha und Bürgermeister Paul müssen entscheiden, welche Themen sie ihren Mitbürgern später in der Vollversammlung zur Abstimmung vorlegen.

Soll ein Arbeitslosengeld eingeführt werden? Was kann die Politik gegen die Hitze in den Zelten unternehmen? Die Stadtspitze stellt die Weichen für Mini-Münchens Zukunft. Einige Themen, die die Jugendlichen beschäftigen, kommen auch dem Maxi-Münchner bekannt vor. Stadtrat Bilal zum Beispiel hat ein Grundstück im Neubaugebiet gepachtet. Er will ein Haus bauen, doch die Preise sind hoch. Kaum ein Bürger der Spielstadt kann sich das leisten. "Wir diskutieren gerade, ob das Bauen günstiger werden kann", berichtet Bilal. Dann könnten im Neubaugebiet auch mehr Geschäfte entstehen - und damit mehr Arbeitsplätze, ergänzt Marlene.

Die wiederum könnten womöglich die Schlange ein bisschen verkleinern, die sich um die Mittagszeit vor dem Arbeitsamt gebildet hat. Jana schaut auf ihre Wartenummer. 232. "Die 85 kann jetzt bitte vorkommen", ruft der Ordner. Jana beißt in ihre Käsesemmel. Britta und Tobias hatten da mehr Glück. Als Neueinsteiger bekommen sie eine garantierte Chance, ihr erstes Geld zu verdienen mit einem "Job für alle Fälle". Mit selbst gemalten Plakaten laufen die Geschwister durch die Stadt und werben für die Dienste des Fotostudios. Später, hofft Britta, wird sie aufsteigen und selbst fotografieren dürfen.

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Für zusätzliche Arbeitsplätze setzt die Stadtspitze zudem auf einen neuen Flughafen auf dem Aussichtshügel, wohlgemerkt mit einer Startbahn und einem Flugzeug. Den Mitarbeitern des Klimaschutzzentrums gefällt das allerdings gar nicht. "Fliegen ist sehr schädlich für die Umwelt", erklärt die 12-jährige Magdalena, die als Klimaforscherin auf einer Holzbank im Zentrum an ihrem Laptop gerade umweltschonende Energiequellen recherchiert. Umweltthemen interessieren sie auch privat, der Job im Mini-Münchner Klimaschutzzentrum ist daher für sie ideal.

Das Zentrum ist zum zweiten Mal als Betrieb in der Spielstadt dabei, die Mitarbeiter leisten Aufklärungsarbeit für die übrigen Mini-Münchner und zeigen, wie man Klimaschutz praktisch leben kann. Beim Flughafen haben die Gegner mit einer Demonstration zumindest durchgesetzt, dass die Forscher der Mini-Münchner Hochschule nach einem CO₂-freien Kraftstoff für das Flugzeug suchen sollen, andernfalls soll der Flughafen eine Klimasteuer bezahlen müssen. Mit dem Geld werden dann Ausgleichsmaßnahmen finanziert, beispielsweise mehr Bäume im Neubaugebiet.

Vor dem großen Ratssaal wird Noah indes langsam ungeduldig. Wo bleiben nur die anderen? In wenigen Minuten ist der Termin für die Hochzeit angesetzt. Die Standesbeamtinnen machen schon den Mikrofontest, sie haben den Saal prächtig geschmückt, rote Luftballons in Herzform schweben um den Rosenbogen.

Noah wartet allerdings nicht auf seine Verlobte, er ist quasi beruflich hier: Sein Arbeitgeber, die Schiedsstelle, die Konflikte schlichten helfen soll, hatte sich ihrerseits mit dem Stadttheater vor Gericht gestritten, wegen einer verspäteten Rechnung. Der Streit ist längst beigelegt, und als Zeichen des guten Willens haben die beiden Betriebe beschlossen, sich zu vermählen. "So eine Betriebshochzeit kommt öfter vor", sagt Standesbeamtin Sophie O'Rourke und grinst.

Auch für gleichgeschlechtliche Ehen oder mehrere Partner ist man in Mini-München sehr offen. Die 17-Jährige ist der Spielstadt seit Jahren verbunden, erst als Teilnehmerin, dann als Botschafterin - im In- und Ausland gibt es inzwischen mehr als 200 ähnliche Projekte - und heuer als freiwillige Betreuerin. Was die Faszination von Mini-München ausmacht? "Man kann in eine ganz andere Welt eintauchen, in die sich Erwachsene nicht einmischen", sagt sie. "Und man kann ausprobieren, welche Arbeit einem Spaß macht." Schon manche Berufswahl aus dem Spiel soll sich später gehalten haben.

© SZ vom 08.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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