Minderjährige Flüchtlinge in Bayernkaserne:Flucht in die Gewalt

Minderjährige Flüchtlinge in Bayernkaserne: Erstaufnahmeeinrichtung für jugendliche Flüchtlinge in der Bayernkaserne.

Erstaufnahmeeinrichtung für jugendliche Flüchtlinge in der Bayernkaserne.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Betreuer der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in der Bayernkaserne berichten von zahlreichen Übergriffen unter den Asylbewerbern - und fühlen sich auch selbst bedroht. Verantwortlich für die Eskalation seien die katastrophalen Lebensbedingungen der Jugendlichen.

Von Dietrich Mittler

In der ehemaligen Bayerkaserne droht die Sicherheitslage bei den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen außer Kontrolle zu geraten. "Die Gefährdungslage innerhalb der Einrichtung ist gestiegen", sagt Elisabeth Ramzews, die Leiterin des Sozialdienstes für Flüchtlinge, den die Innere Mission München stellt. Jeden Tag gebe es hochbrisante Konflikte, heißt es aus dem Kreis ihrer Mitarbeiter. Dass sich das Klima stetig weiter verschlechtert, ist aus Sicht der Betreuer eine logische Folge des rigiden Umgangs des Staates mit den oftmals traumatisierten jugendlichen Asylbewerbern.

Derzeit sind die Räume im Haus 58, in dem die minderjährigen Flüchtlinge untergebracht sind, hoffnungslos überbelegt. Die jungen Männer haben keine Möglichkeit sich zurückziehen oder sich sinnvoll zu betätigen - sie bleiben weitgehend sich selbst überlassen. Schwächere sind dem Terror hochaggressiver Schläger ausgesetzt, die Polizei geht in vier Fällen auch dem Verdacht nach, dass es zu sexuellen Übergriffen auf Jugendliche kam.

Am vergangenen Sonntag erst zertrümmerte einer der minderjährigen Flüchtlinge einem anderen heranwachsenden Asylbewerber, der in Begleitung seiner Eltern da ist, mit einem Faustschlag und mit Tritten das Gesicht. Vorangegangen war in der Nacht eine Schlägerei zwischen erwachsenen Pakistani und Afghanen. Das Polizeipräsidium München bestätigte am Freitag den Fall, bei dem einige Beteiligte "Platzwunden und Schnittverletzungen" davongetragen hätten.

Auch Betreuer und Security-Mitarbeiter sind den Aggressionen ausgesetzt, wie Elisabeth Ramzews bestätigt: "Wir werden verbal bedroht, vor gut zweieinhalb Wochen hatte einer der Jugendlichen ein Messer in der Hand. Der ging steil, weil er glaubte, dass sein Essen nicht dem entsprach, was er bestellt hatte."

"Tiefe Wunde"

Bei einem anderen Vorfall zwischen Asylbewerbern blieb es nicht bei einer Drohung. Einigen Jugendlichen missfiel offenbar ein Lied, das ein erwachsener Asylbewerber summte. Es folgte eine Auseinandersetzung, bei der der Erwachsene einem Jugendlichen ein Messer an die Kehle setzte und ihm eine "tiefe Wunde" zufügte, wie Ramzews sagt. Angesichts dieser Gewaltspirale tragen die Mitarbeiter der Sicherheitsfirma seit Wochen stichsichere Westen. Einer von Ramzews Mitarbeitern will bei den Sicherheitskräften sogar schusssichere Westen ausgemacht haben.

Aus Sicht von Monika Steinhauser vom Münchner Flüchtlingsrat sind die Probleme hausgemacht: "Die Jugendlichen sind total gefrustet, die haben nichts zu tun. Die Mitarbeiter der Inneren Mission sind zu wenige, um für den Einzelnen Zeit zu haben. Überdies sind die Räume mit vier und mehr Betten brutal voll", sagt sie. Ramzews bekommt die Konflikte hautnah mit. "Wir haben große Probleme mit Jugendlichen, die neu Hinzukommende nicht auch noch ins Zimmer lassen wollen, und dann ganz konkret auch diese Neuen bedrohen."

Wann sich an der prekären Lage etwas ändert, ist unklar. Ende August hatte die damalige Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) angekündigt: "Zukünftig werden alle unbegleiteten Minderjährigen in Jugendhilfe-Einrichtungen betreut." Zum Jahreswechsel, spätestens im ersten Quartal 2014, könnten "die Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete minderjährige Asylbewerber in München und Zirndorf geschlossen werden". Der Applaus der Wohlfahrtsverbände war groß. Für eine fachgerechte Betreuung der Jugendlichen hatten sie lange Jahre gekämpft.

Ernüchterte Betreuer

Doch die Betreuer sind inzwischen ernüchtert: "Wohin kommen jetzt unsere Jugendlichen? Und wer betreut die, die nächstes Jahr noch in der Bayernkaserne sitzen?", fragt Ramzews. "Unser Vertrag läuft zum Jahresende aus." Aus dem Sozialministerium hieß es am Freitag: Nun gelte es, Haderthauers Empfehlungen "schnellstmöglich umzusetzen". Voraussetzung für die Schließung der Erstaufnahmeeinrichtungen für unbegleitete Minderjährige sei jedoch die Schaffung geeigneter Alternativen unter dem Dach der Jugendhilfe. Und das sei "originäre kommunale Aufgabe der Kreisverwaltungsbehörden".

Das Städtische Jugendamt in München versuchte am Freitag, die Wogen zu glätten, ohne aber einen konkreten Zeitpunkt zu nennen: Die minderjährigen Flüchtlinge in München und Zirndorf würden "zukünftig in Einrichtungen der Jugendhilfe in Obhut genommen". Dort könnten sie rund um die Uhr "von pädagogischen Fachkräften betreut werden". Hinzu komme ein psychologischer Fachdienst.

Doch die Betreuer in der Bayernkaserne sind nach wie vor verunsichert. "Auch die Jugendlichen wissen nicht, wohin sie kommen und was aus ihnen wird", sagte Ramzews.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: