Minderjährige Asylbewerber:Zuzug junger Flüchtlinge überfordert Stadt

Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Bayernkaserne in München, 2012

Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Bayernkaserne in München. Noch immer leben dort rund 30 Jugendliche in einem Gebäude, das vergangenen Jahres hätte geschlossen werden müssen.

(Foto: Catherina Hess)

Immer mehr minderjährige Asylbewerber kommen ohne Eltern und Papiere nach München. Wohlfahrtsverbände kritisieren die unzureichende Betreuung - und Missstände bei der Feststellung des Alters. Die Polizei legt Geburtsdaten willkürlich fest, andere Behörden übernehmen sie einfach.

Von Bernd Kastner

Immer mehr junge Flüchtlinge kommen ohne Eltern oder andere Begleiter nach München. Die Stadt rechnet mit bis zu 1000 Minderjährigen, die sie heuer unterbringen muss - etwa doppelt so viele wie 2013. Ausreichend Betreuungsplätze fehlen nach wie vor. Dazu kommen weitere 1000 Flüchtlinge, um die sich das Jugendamt kümmern muss, weil sie trotz Volljährigkeit Jugendhilfe benötigen. Oder weil die Stadt ihr Alter feststellen und entscheiden muss, welche Hilfe sie erhalten.

"Wir haben nicht mit dem Zustrom gerechnet", räumt Jugendamtschefin Maria Kurz-Adam ein. Allein im ersten Quartal 2014 habe die Stadt etwa 250 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht. Der Ausbau der nötigen Wohngruppen kommt nur schleppend voran. Weit hinter dem Zeitplan liegt die Stadt auch in der Bayernkaserne: Noch immer leben dort rund 30 Jugendliche in einem Gebäude, das vergangenen Jahres hätte geschlossen werden müssen.

Nun sollen die verbliebenen Flüchtlinge bis Ende Juni in Wohngruppen umziehen. Immerhin gehört inzwischen die heftig kritisierte Erstaufnahme in der Baierbrunnerstraße der Vergangenheit an. Dort war die Betreuung der oft traumatisierten Flüchtlinge nach Ansicht vieler Fachleute untragbar. Stattdessen wird Haus 19 in der Bayernkaserne bis zum Herbst genutzt, um neu ankommende Flüchtlinge vorübergehend unterzubringen. Das Gebäude diente bis März im Rahmen des städtischen Kälteschutzprogramms Obdachlosen.

Wie angespannt die Situation in der Flüchtlingshilfe ist, zeigt auch ein Streit zwischen Jugendamt und Betreuern vor Ort. Die "Fachgruppe Inobhutnahme" in der Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände kritisiert in einem Brief heftig das Agieren der Behörde bei der Altersfeststellung. Das bisherige Procedere sei "auf Grundlage unserer Leitbilder nicht mittragbar", da es "weder mit rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar noch sozialethisch vertretbar" sei.

Da fast alle Flüchtlinge ohne Ausweis in Deutschland ankommen, das Alter aber entscheidend ist für die ihnen zustehende Hilfe, stellt das Gespräch über das Geburtsdatum wichtige Weichen. Die Verbände bemängeln beispielsweise, dass ein Jugendlicher nicht ausreichend über seine Rechte aufgeklärt werde; dass der Kontakt zu seiner bisherigen Wohngruppe abrupt abreiße, wenn er für volljährig erklärt werde; dass nicht klar sei, wie das Alter ermittelt werde und die Befragungstechnik als "verhörähnlich" empfunden werde.

"Wir lernen"

Kurz-Adam zeigt sich "irritiert" über den Stil des Briefes, zumal man im ständigen Austausch stehe. Die Vorwürfe weist sie zurück, das Verfahren entspreche rechtlichen Vorgaben. Dennoch wolle man es verbessern: Die Flüchtlinge etwa von einer Vertrauensperson zu den Gesprächen begleiten zu lassen, sei eine "gute Idee". Schon jetzt würden sie von zwei bis drei Fachleuten im Schnitt zwei Stunden lang befragt, viel intensiver als früher, als für die Altersfeststellung noch die Regierung von Oberbayern zuständig war.

Bewusst verzichte man auf umstrittene medizinische Untersuchungen wie das Röntgen der Handwurzeln. Vorstellen könne sie sich auch, sagt Kurz-Adam, zu den sensiblen Gesprächen kurz nach der Ankunft externe Experten zuzuziehen oder die Aufgabe einer unabhängigen Stelle zu übertragen.

Entschieden wehrt sie sich gegen den in der Flüchtlingshilfe kursierenden Vorwurf, ihr Amt nutze seine Macht, angesichts fehlender Unterkünfte Flüchtlinge im Zweifel für volljährig zu erklären. Schon jetzt, betont Kurz-Adam, entscheide man im Zweifel zugunsten der Jugendlichen. Auch Volljährige kämen oft in den Genuss von Jugendhilfe. Dennoch, so betont Kurz-Adam, lasse man das Verfahren zur Altersfeststellung von einem externen Fachmann überprüfen: "Wir lernen."

Nach Angaben von Betreuern haben viele unbegleitete Asylbewerber keine Chance auf ein offizielles Gespräch über ihr Alter. Dann etwa, wenn ihnen die Polizei ein offizielles Geburtsdatum gebe und andere Behörden dies übernähmen. Bei einem improvisierten Pressegespräch vor der Bayernkaserne berichteten kürzlich Flüchtlinge von ihren Erfahrungen mit Behörden: Vier junge Somali zeigten ihre Papiere, alle sind demnach am 31. Dezember 1995 geboren - und damit volljährig. Eigentlich, sagen sie, seien sie 16 oder 17. Ein anderer kam laut Ausweis am 13. März 1996 zur Welt. Ja, sagt er, das habe er so angegeben, aber das sei ein Missverständnis gewesen, er habe in der Aufregung sein Geburtsdatum mit dem aktuellen Datum verwechselt - sein Dokument ist ausgestellt am 13. März. Jetzt lebt er in einer Unterkunft mit lauter erwachsenen Männern, obwohl er erst 17 sei.

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