Milbertshofen:"Wir haben Angst, dass plötzlich die Bagger vor der Tür stehen"

Gebäude Norderneyer Str. 10 in Milbertshofen; das wird abgerissen und für eine Flüchtlingsunterkunft genutzt

Gebäude Norderneyer Str. 10 in Milbertshofen; das wird abgerissen und für eine Flüchtlingsunterkunft genutzt

(Foto: Florian Peljak)

Etwa 45 Mietern in Milbertshofen droht der Rauswurf. Der Eigentümer will das Haus abreißen, doch die angebotenen Alternativen sind unbezahlbar.

Von Nicole Graner

Das, was man Putz nennen könnte, bröckelt. Die Wandverkleidung in den Fluren bricht ab, es riecht feucht. Riesige Wasserflecken an den Wänden sind im Gemeinschaftsbad im Erdgeschoss zu sehen. Schimmel. Und Löcher im Boden. Einige Wohnungstüren haben Schlösser, andere sind nur mit einem kleinen Haken versehen. Ein Mieter hat Handtücher um die Tür gewickelt, damit es nicht durch die Schlitze zieht, ein anderer hat ein großes Brett vor seine Eingangstür gelegt, darunter verbirgt sich ein Loch im Boden. Auch die Treppenfliesen im Hinterhaus sind gebrochen. Sauber ist es nirgendwo.

Die Rede ist von dem Haus an der Norderneyer Straße 10 in Milbertshofen. Jenem Haus, das im Frühjahr 2016 abgerissen und durch ein Wohnhaus für wohnungslose Familien, auch solche mit Migrationshintergrund, ersetzt werden soll. Ein privater Investor aus Passau hat der Stadt München bereits ein Angebot gemacht, Pläne für den Neubau existieren schon. Pläne, die dem Bezirksausschuss (BA) Milbertshofen-Am Hart vorliegen und einen großen, lang gestreckten dreigeschossigen Riegel mit Büros und kleinen Appartements zeigen.

Der aktuelle Eigentümer hat den Mietern des Hauses gekündigt, wie Anwohner berichten. Einigen mehr oder weniger schriftlich zum Beispiel auf einem Zettel, anderen nur mündlich und wieder anderen gar nicht. An diesem Donnerstag, 31. Dezember, sollen die meisten Mieter draußen sein, anderen gewährt der Vermieter eine Bleibe bis März, sogar Mai. Danach, so habe der Eigentümer gedroht, werde er den Strom abstellen. Aber noch leben an die 45 Mieter - Bulgaren, Griechen und andere Nationalitäten - im Haus und wissen nicht, wohin.

Das Amt für Wohnen und Migration hat die Mieter im Oktober zwar in einem Schreiben über den Eigentümer-Wechsel informiert und auch erklärt, dass die Stadt mit dem "aktuellen und dem neuen Eigentümer in einem intensiven Austausch" darüber sei, dass die Mieter "rechtzeitig einen Anschlusswohnraum erhalten".

Doch der Brief hat nicht alle erreicht, da er nicht in die Briefkästen eingeworfen, sondern auf die Treppen gelegt worden war. Auch versprachen Vertreter der Stadt im Oktober, man werde sich um die Mieter kümmern, doch noch immer haben viele keine neue Wohnung.

Ein Mann mit "Appetit fürs Geld"

V. zum Beispiel. Er lebt seit fünf Jahren im Haus und zahlt 1000 Euro Miete. 25 Euro pro Person fallen davon für die Treppenhausreinigung an - sehen tut man es nicht. Er und seine Frau, Sohn und Schwiegertochter haben jeweils ein Zimmer, teilen sich die Küche und das Bad im Flur. Die Miete zahlt er bar an den Eigentümer: "Immer am Ersten des Monats." Der Eigentümer komme und kassiere. Alles, was kaputt gehe, repariert V. selbst, sagt er. Der Strom sei teuer, die Heizungen gingen nicht richtig.

Der Eigentümer, so sagt V., sei ein Mann mit "Appetit fürs Geld". Zwar weiß V., dass er aus der Wohnung raus muss, eine schriftliche Kündigung habe er aber nicht. Man hat ihm zwar eine neue Unterkunft angeboten, aber "eine Wohnung für 1500 Euro und viel zu weit draußen." Das könne er sich nicht leisten, auch wenn er und seine Frau arbeiten würden: "Wir haben alle Angst. Aber ich bleibe bis zum Schluss, denn es ist nicht rechtmäßig, was der Eigentümer da tut."

Schon seit 2007 wohnt B. in dem Haus. Zu sechst leben sie in der Zwei-Zimmer-Wohnung, für die er 950 Euro bezahlt - eine Wohnung, die er zum Teil selbst erst bewohnbar gemacht hat. "Ich verstehe nicht, warum uns der Eigentümer erst so spät Bescheid gesagt hat. Wir haben Angst, dass plötzlich die Bagger vor der Tür stehen und wir noch keine Wohnung haben", sagt B. Erst seit einem Monat wisse er, dass er und seine Familie aus der Wohnung raus müssen. Eine schriftliche Kündigung hat auch B. nicht. Die aber bräuchte er, um überhaupt eine Chance auf geförderten Wohnraum zu bekommen.

Wie sich die Mieter wehren

Wie das Amt für Wohnen und Migration mitteilt, seien bei der Registrierung für eine Sozialwohnung und für eine hohe Dringlichkeitsstufe neben dem ausgefüllten Antrag auch Einkommensnachweise, ein Mietvertrag und eine schriftliche Kündigung vorzulegen. Eine andere Wohnung habe der Eigentümer B. zwar angeboten, aber die sei nicht zu bezahlen. Der Eigentümer selbst will trotz zahlreicher Kontaktversuche keine Stellungnahme abgeben.

Seit Monaten macht die Interessensgemeinschaft Norderneyer Straße 10 bei BA-Sitzungen auf den Zustand im Haus aufmerksam. Sie unterstützt die Mieter, die großteils ihre Rechte gar nicht kennen, sogar mit einen Rechtsanwalt. Denn, so sagt der Sprecher der Interessengemeinschaft Michael Hübsch: "Ein Kündigungsgrund ist nicht ersichtlich. Der Vermieter kann die Mieter aus einer alleinigen Verkaufsabsicht nicht kündigen." Auch habe ihm der Rechtsanwalt mitgeteilt, dass es einer schriftlichen Kündigung bedürfe, gegen die die Mieter Einspruch einlegen könnten.

Das Anwaltschreiben an den Eigentümer, dass die Kündigungen nicht rechtmäßig sind, kam laut Hübsch mit dem Verweis "unbekannt verzogen" zurück. "Der Neubau muss unbedingt zurückgestellt werden, solange die Mieter keine anderen Wohnungen haben", sagt Hübsch.

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