Süddeutsche Zeitung

Milbertshofen:Neunjährige von Lastwagen überfahren

Das Mädchen war mit dem Fahrrad auf dem Weg in die Schule, der Lkw erfasste es beim Abbiegen. Wenig später starb es an seinen Verletzungen.

Von Thomas Schmidt

Ein kleines Mädchen, gerade mal neun Jahre alt, ist auf dem Weg zur Schule von einem Kipplaster überrollt und getötet worden. Das Kind war am Montagmorgen allein in Milbertshofen unterwegs, berichtet die Polizei. Das Mädchen fuhr auf seinem weiß-blauen Kinderfahrrad den Radweg neben der Schleißheimer Straße entlang, den Schulranzen auf den Rücken geschnallt. An der großen, stark befahrenen Kreuzung zur Moosacher Straße wollte die Neunjährige geradeaus weiterradeln, die Ampel für den Rad- und Fußgängerüberweg leuchtete nach Polizeiangaben grün. Dennoch bog ein schwerer Schrottlaster genau in diesem Moment rechts ab, erfasste das Kind und überrollte es samt Fahrrad.

Der tödliche Unfall geschah im morgendlichen Berufsverkehr gegen 7.40 Uhr. Auf den Straßen war viel Betrieb, immer wieder stauten sich Autos und Lastwagen. Genau das wurde dem Kind offenbar mit zum Verhängnis. Denn nach ersten Ermittlungen der Polizei zeigte auch die Rechtsabbieger-Ampel für den 43-jährigen Lastwagenfahrer grünes Licht, als er von der Schleißheimer in die Moosacher Straße einbiegen wollte. Er tastete sich wenige Meter in die Kreuzung vor, dann stockte der dichte Verkehr vor ihm und der 43-Jährige musste warten. Als der Bereich wieder frei war, hatte in der Zwischenzeit aber auch die Fußgängerampel auf Grün geschaltet, berichtet Polizeisprecherin Marina Mozny. Das Mädchen überquerte die Straße, der Lkw-Fahrer gab Gas. Vermutlich befand sich die Grundschülerin genau in diesem Moment im toten Winkel des Lastwagens, jedenfalls bemerkte der Fahrer das Mädchen nicht und überfuhr es.

Unmittelbar nach dem Unfall bremste der Mann aus Haar seinen Kipplaster und blieb stehen. Er erlitt einen Schock und wurde anschließend psychologisch betreut. Die Streifenpolizisten, die als erste am Unfallort eintrafen, konnten das schwer verletzte Kind zunächst wiederbeleben. Die Neunjährige wurde dann in eine Kinderklinik gebracht, doch ihre Verletzungen waren zu gravierend. Kurze Zeit später starb sie im Krankenhaus.

Die Polizei sperrte die Unfallstelle für mehrere Stunden ab, eine Gutachterin wurde herbeigerufen, um alles zu dokumentieren. Vereinzelt kamen Anwohner zur Kreuzung und berichteten aufgelöst davon, wie gefährlich die Stelle sei und dass es dort häufig zu brenzligen Situationen und Unfällen komme. Noch während die Polizei mit Aufräumarbeiten beschäftigt war, wurde an der gegenüberliegenden Ecke der Kreuzung beinahe ein weiterer Radfahrer von einem abbiegenden Auto angefahren. Der Radler bremste noch rechtzeitig, streckte die Faust in die Höhe und fluchte laut. Die Unfallstelle selbst blieb bis kurz vor elf Uhr gesperrt.

Das neunjährige Mädchen ist in diesem Jahr die neunte Verkehrstote im Zuständigkeitsbereich des Münchner Polizeipräsidiums. Im vergangenen Jahr waren es zum gleichen Zeitpunkt sechs. Je dichter der Autoverkehr wird, desto gefährlicher wird es auch für Fußgänger und Radfahrer. Jedes Jahr komme es in Deutschland zu 40 bis 50 tödlichen Abbiegeunfällen mit Radfahrern, berichtet Andreas Groh vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC). "Tendenz: klar steigend." Dabei seien diese Unfälle vermeidbar, kritisiert der Münchner Verkehrsexperte. Längst gebe es technische Lösungen, Kameras oder akustische Warnsysteme, die Lkw-Fahrer auf Personen im toten Winkel aufmerksam machen. Einfache Anlagen seien bereits für 300 bis 400 Euro pro Fahrzeug zu haben. Jedes Unternehmen, das Lastwagen betreibe, habe die Verpflichtung, solche Systeme einzubauen, fordert Groh. Aber auch die Fahrer seien in der Pflicht: "Wer nicht sieht, darf nicht abbiegen."

Die Kreuzung Schleißheimer und Moosacher Straße sei ein bekannter Unfallschwerpunkt, kritisiert auch Wolfram Hell, der sich an der Ludwig-Maximilians-Universität mit dem Thema Verkehrssicherheit beschäftigt. Die Politik müsse mehr tun, um Radler und Fußgänger zu schützen. Neben automatischen Systemen in den Fahrzeugen, müssten auch Gefahrenpunkte konsequent entschärft werden, beispielsweise durch das Aufstellen von Spiegeln oder eine veränderte Verkehrsführung. Außerdem könne man Lastwagen baulich so verändern, dass Radler nach der Kollision zumindest nicht mehr überrollt werden. Technische Möglichkeiten gebe es viele. "Man muss das System so gestalten, dass auch wenn Menschen Fehler machen, keine tödlichen Unfälle geschehen."

"Es passiert zu wenig", ärgert sich Groh vom ADFC. Die Stadt setze noch immer die falschen Prioritäten - zugunsten des motorisierten Verkehrs. Zusammen mit Hell steht Groh wenige Stunden nach dem tödlichen Unfall an der Ecke Welfen- und Regerstraße, wo im vergangenen Jahr die Schauspielerin Silvia Andersen auf dem Rad von einem abbiegenden Lastwagen überrollt wurde. Gemeinsam mit der ÖDP stellen sie dort ein weißes "Ghost Bike" auf, um an den Tod der Frau zu erinnern. Der Termin ist seit Langem geplant, erlangt am Montag dann aber eine besondere Brisanz. Kurz darauf teilen die Grünen mit, sie wollten zum Gedenken an die gestorbene Neunjährige am Montagabend eine Mahnwache an der Unfallkreuzung abhalten. Auch sie nennen das Unglück "sinnlos" und "vermeidbar".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3970417
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 8. Mai 2018/jana
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.