Milbertshofen:Mehr als nur eine Panne

Ein Gewerbegebiet am Wallensteinplatz ist verkauft worden. Die Fahrradwerkstatt R 18 der berufsbezogenen Jugendhilfe muss bis Ende des Jahres raus. Die Stadt hätte das Gelände kaufen können, hat aber abgelehnt

Von Lea Kramer, Milbertshofen

Werkstattgebäude aus der Nachkriegszeit sind in der Regel keine besonderen architektonischen Meisterwerke. Das sollen sie auch nicht sein. Eine Werkstatt soll einen Zweck erfüllen. Da braucht es Platz zum Arbeiten, Lagerräume und vielleicht noch Räume, um Kunden zu empfangen. Die Radlwerkstatt R 18 hat all das in Milbertshofen gefunden. Seit fast zwanzig Jahren gibt es die Einrichtung der berufsbezogenen Jugendhilfe am Wallensteinplatz. Nun wurde ihr mitgeteilt, dass sie mit einer Kündigung des Mietverhältnisses rechnen muss. Ende des Jahres ist wohl Schluss.

Die Fahrradwerkstatt ist eine der letzten Betriebe auf einem alten Gewerbehof, der wie eine Insel eingebettet im Wohngebiet zwischen Schleißheimer-, Milbertshofener-, Korbinian- und Wallensteinstraße liegt. "Das Gelände wurde zum 1. Mai verkauft. Der neue Eigentümer hat uns mitgeteilt, dass er im Frühjahr 2022 beginnen will, zu bauen und wir wohl zum 31. Dezember gekündigt werden", sagt Werkstattleiter Fritz Winbeck. Eine belastende Situation, denn schließlich weiß Winbeck, wie schwierig es ist, in München zentrale Gewerberäume zu finden. Zumal es für seinen Betrieb ein paar besondere Anforderungen gibt. "Wir brauchen mindestens 850 Quadratmeter Verkaufs-, Werkstatt- und Lagerfläche, am besten in einem Wohngebiet", sagt er.

Radwerkstatt R 18

Ungewisse Zukunft: Meister Jan Lalleike (links) mit einem Mitarbeiter in der Fahrradwerkstatt R18, aus der sie ausziehen müssen.

(Foto: Schuster/EJMZ)

Die Werkstatt ist nämlich kein profitorientierter Betrieb, sondern ein Sozialunternehmen. Mit seinem Team aus Technikern und Sozialpädagogen hilft Winbeck jungen Menschen, die sozial benachteiligt sind, im Berufsleben an- oder weiterzukommen. "Es sind Leute, bei denen es in der Familie nicht passt, oder welche, die schulische Schwierigkeiten haben. Es sind Menschen mit massiven psychischen Beeinträchtigungen oder solche, die Mobbing erfahren haben", sagt Winbeck. Im R 18 würden sie Stabilität, Struktur und Sicherheit erleben - oftmals zum ersten Mal im Leben. "Dieser Ort hier ist für viele der letzte Anker," sagt Winbeck. In vielen Gesprächen und beim Arbeiten würde gemeinsam versucht herauszufinden, wo es beruflich hingehen soll.

Dabei ist zweitrangig, ob ein Mitarbeiter - so werden hier alle genannt, egal ob Azubi, Praktikant oder Meister - überhaupt Talent zum Schrauben mitbringt. "Unser Ansatz ist, dass alle vom ersten Tag an an der Werkbank stehen, um einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen", erläutert der Werkstattleiter. Neben einem Reparaturdienst und einer Montageabteilung für Neuräder sowie einem Fahrradverleih, gibt es im R 18 einen Recyclingservice. Dafür holen die Mitarbeiter regelmäßig Schrotträder von den Wertstoffhöfen im Münchner Norden ab, um sie wieder fahrbereit zu machen und anschließend zu verkaufen. Das Projekt, dessen Träger die Evangelische Jugend München (EJM) ist, finanziert sich zur Hälfte aus städtischen und kirchlichen Fördermitteln sowie aus den Fahrradverkäufen und einem kleinen Anteil Spenden.

Milieuschutz und Abwendungserklärung

Die 30 Münchner Erhaltungssatzungsgebiete sollen angestammte Bewohner vor Verdrängung schützen und dazu beitragen, dort bezahlbaren Wohnraum sowie die Infrastruktur zu erhalten. Unterschreibt ein Kaufinteressent eine Abwendungserklärung, verpflichtet er sich, bestimmte Auflagen zu erfüllen. Dazu gehört unter anderem das Verbot von Luxussanierungen oder die Aufteilung einer Immobilie in einzelne Eigentumswohnungen. Der Abriss von Gebäuden ist nur in Ausnahmefällen möglich. Auch darf ein neuer Eigentümer nur noch an Personen vermieten, deren Einkommen eine bestimmte Obergrenze nicht überschreitet. Diese Regelungen gelten allerdings nur für vorhandene Wohnanwesen oder unbebaute Grundstücke, auf denen theoretisch Wohnungen gebaut werden könnten oder jene, die sich noch für Nachverdichtung eignen. Wie viele Wohneinheiten auf einer unbebauten Fläche möglich wären, gibt die Stadt mit einem Schätzwert an, der sogenannten Wohnbaureserve. Wird in Erhaltungssatzungsgebieten ein Neubau genehmigt, müssen ab einer Geschossfläche von 600 Quadratmetern 30 Prozent der zusätzlich entstandenen Wohneinheiten die Auflagen erfüllen. Mieter von Gewerberäumen sind von all dem unbenommen. Kleingewerbe und Einzelhandel fallen bislang nicht unter den Milieuschutz, weil der rechtliche Rahmen fehlt. Immer wieder gibt es auf Bundesebene Bestrebungen, das Gewerbemietrecht zu ändern und Schutzklauseln einzuführen, da kleine Gewerbe und Handwerksbetriebe genauso von Verdrängung bedroht sind wie alteingesessene Mieter. lkr

Im Rathaus ist zumindest die Adresse des Sozialprojekts seit Anfang des Jahres geläufig. Anfang Februar stand der Wallensteinplatz 2 auf der Tagesordnung im Kommunalausschuss des Stadtrats. In nichtöffentlicher Sitzung berieten die Stadträte darüber, ob die Stadt an dieser Stelle ihr Vorkaufsrecht ausüben soll, denn der Gewerbehof liegt im Erhaltungssatzungsgebiet Milbertshofen. Die Räte entschieden sich dafür, das Grundstück zu kaufen. Im Nachhinein habe der Kaufinteressent allerdings eine sogenannte Abwendungserklärung unterzeichnet. "Da den erhaltungssatzungsrechtlichen Zielen dadurch Rechnung getragen ist, bestand keine gesetzliche Grundlage mehr für die Ausübung. Der Ausübungsbescheid war zu widerrufen", heißt es aus dem Kommunalreferat.

Was am Wallensteinplatz genau geplant ist, ist bislang öffentlich nicht bekannt. Der Lokalbaukommission liegen bislang weder ein Vorbescheids- noch ein Bauantrag vor. Da es sich an dieser Stelle auch planungsrechtlich um ein allgemeines Wohngebiet handelt, steht einem Abriss der in die Jahre gekommenen Gewerbegebäude wenig entgegen. Die Stadtratsfraktion Die Linke/Die Partei fordert deshalb, dass die Stadt ein Bebauungsplanverfahren einleiten soll, um den Standort der Radlwerkstatt dauerhaft zu sichern. "Die Stadt kann und muss aufgrund ihrer sozialen Verantwortung jetzt handeln", sagt Fraktionsvorsitzender Stefan Jagel (Linke). Er weist darauf hin, dass am Wallensteinplatz gut 40 neue Wohnungen gebaut werden könnten. Das hieße, dass neben dem durch die Abwendungserklärung garantierten bezahlbaren Wohnraum zusätzlich Eigentumswohnungen entstehen könnten, "in der Regel im hochpreisigen Segment".

Andere Stadtratsmitglieder sehen die Situation weniger kritisch. "Die Einrichtung ist erhaltenswert und sie wird auch erhalten bleiben", sagt SPD-Fraktionsvorsitzender Christian Müller. Und fügt hinzu: "Vermutlich an einem anderen Standort." Er verweist darauf, dass sie auch hätte ausziehen müssen, wenn die Stadt das Gelände gekauft und die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewofag dort selbst ein Quartier entwickelt hätte.

Winbeck ist skeptisch. "Gerade hat mich ein Immobilienmakler kontaktiert, der mir Gewerbefläche zu 17 Euro pro Quadratmeter angeboten hat - aktuell zahlen wir acht", sagt er. Es sei nicht realistisch, künftig mit der Fahrradwerkstatt mehr Erlöse zu erwirtschaften als bisher. Sei man gezwungen, umzuziehen, müssten auch die Fördermittel erhöht werden. "Wir wissen ja alle wie die wirtschaftliche Lage der Stadt gerade ist", sagt er.

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