Milbertshofen:Keine Verschnaufpause

Die Schule an der Torquato-Tasso-Straße kämpft nicht nur mit der Corona-Pandemie: Rektorin und Stellvertreterin haben gekündigt, pünktlich zum neuen Schuljahr beginnen Abrissarbeiten für die große Sanierung. Der Elternbeirat befürchtet, dass die Kinder nicht in Ruhe lernen können

Von Lea Kramer, Milbertshofen

Es ist ein lang gezogenes zweistöckiges Gebäude. Außen orange-rot gestrichen. Innen ein lichtdurchfluteter Korridor, weiße Wände, gefliester Boden. Optisch gewinnt die Grundschule an der Torquato-Tasso-Straße keinen Architekturwettbewerb. Das Schulgebäude ist nicht hässlich, aber auch nicht besonders schön. Funktional wäre das Wort, mit dem man es beschreiben könnte. Für Schüler, Lehrer und Eltern des Sprengels in Milbertshofen ist das aber alles zweitrangig. Für sie ist wichtig, was hinter den und rund um die Mauern an der Torquato-Tasso-Straße geschieht. In der Vergangenheit haben sie das als bereichernd empfunden. Ausgelöst durch die Corona-Pandemie und einen größeren Umbau auf dem Schulgelände ist die Stimmung aber allmählich gekippt.

"Wir haben eigentlich eine wirklich tolle Schulfamilie", sagt Dagmar Ammon, die Vorsitzende des Elternbeirats. Mit nur drei Zügen ist die Grundschule eine der kleineren Einrichtungen in der Stadt. Der Zusammenhalt sei groß, das gehe auch auf die langjährige Schulleiterin zurück. Sie habe die Schule, die als Brennpunktschule galt, weil dort viele Kinder aus einkommensschwachen oder anders benachteiligten Familien unterrichtet wurden, zu dem gemacht, was sie sei. "Die Rektorin und ihre Stellvertreterin haben traurigerweise beide zum Schuljahresende gekündigt", sagt Ammon. Der Schock über diesen Verlust sitzt tief. Die Eltern sind verzweifelt und fragen sich, ob die Stadt das nicht hätte verhindern können. Die Rektrorin selbst will sich nicht öffentlich zu den Gründen äußern, betont aber, dass sie die Arbeit der Elternvertretung sehr schätze.

Das Schulgelände rund um Torquato-Tasso- und Hans-Denziger-Straße ist Teil der städtischen Schulbauoffensive. Das heißt, dass die Stadt im Stadtbezirk viel Geld investiert, um die Grund- sowie die angrenzende Mittelschule und ein Haus für Kinder bis im Jahr 2032 zu sanieren beziehungsweise komplett neu zu errichten. Geplant sind zudem eine Mensa,eine Tiefgarage, zwei Sporthallen, ein Schwimmbad sowie ein Sportplatz. Anfang 2021 sind die alte Kindertagesstätte, eine frühere Hausmeisterwohnung sowie ein Teil des Schusterbaus, so wird das alte Grundschulgebäude aus dem Jahr 1961 genannt, renoviert worden. "Der nächste Schritt wird ab Herbst 2021 der Abriss des Bestandsgebäudes der Mittelschule sein", sagt Ursula Oberhuber vom Referat für Bildung und Sport (RBS). Mit Beginn des neuen Schuljahrs, im laufenden Betrieb. Eine riesige Baustelle.

Milbertshofen: Die Mittelschule wird im September abgerissen, genau dann, wenn die Kinder sich wieder aufs Lernen konzentrieren müssen.

Die Mittelschule wird im September abgerissen, genau dann, wenn die Kinder sich wieder aufs Lernen konzentrieren müssen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Dass das alles nötig ist, bezweifeln die betroffenen Eltern nicht, nur der Zeitplan stört sie. Sie hätten den Baustart und die Erweiterung der Grundschule auf vier Züge gerne verschoben. Ihre Bedenken haben sie hinter verschlossenen Türen auch schon vor Monaten an die Stadt adressiert. Ohne Erfolg. "Durch die Corona-Pandemie hat es für die Kinder keinen richtigen Schulalltag gegeben", sagt Elternsprecherin Ammon, "wir hätten ihnen gern eine Verschnaufpause verschafft und sie im Herbst nicht auch noch zusätzlich mit dem Baulärm belastet."

Der lange Distanzunterricht hat offenbar gerade bei Grundschülern Spuren hinterlassen. Daten legen nahe, dass mindestens 15 Prozent der Grundschüler nicht die Mindeststandards im Lesen, Rechnen und Schreiben erfüllen könnten. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF), die wegen Datenschutzbestimmungen für ihre Auswertung keine Zahlen aus dem deutschen Bildungssystem zur Verfügung hatten, aber das ähnliche Schweizer Schulsystem analysierten. Dort ließen sich bei 350 000 Schülern coronabedingte Leistungseinbußen feststellen. Je jünger die Kinder seien, desto stärker seien sie beim Lernen auf individuelles Feedback angewiesen, schrieb Marcus Hasselhorn vom DIPF in der Analyse. Rückmeldung, die aber via Video und Chat nur schwierig möglich ist.

Eine Stadtteilstudie des Referats für Bauordnung und Stadtplanung aus dem Jahr 2019 hatte für den gesamten Bezirk Milbertshofen-Am Hart einen "überdurchschnittlichen Förderbedarf" in Vorschule und schulischer Bildung ergeben, die Übertrittsquoten aufs Gymnasium liegen im unteren Fünftel der Gesamtstadt. Im Schuljahr 2014/15 hätten der Stadtteilstudie zufolge 76,6 Prozent der Kinder den Vorkurs Deutsch besucht. Auch deshalb ist die Grundschule an der Torquato-Tasso-Straße auf Sprachvermittlung spezialisiert. Es gibt dort Angebote, um Kinder, deren Familiensprache nicht Deutsch ist oder die andere Schwierigkeiten haben, über den normalen Unterricht hinaus zu fördern. Zudem gibt es zwei Schulpsychologinnen, die auch andere Einrichtungen betreuen.

Milbertshofen: Die Grundschule wurde heuer renoviert.

Die Grundschule wurde heuer renoviert.

(Foto: Stephan Rumpf)

Dass Eltern eine Baumaßnahme an einer Schule verschieben wollen, ist im stadtweiten Vergleich eher ungewöhnlich. Es sei sicherlich seltener als die Wünsche, Maßnahmen zu beschleunigen oder vorzuziehen, heißt es aus dem Referat für Bildung und Sport (RBS). Dennoch gibt es auch anderenorts Kritik an einem Schulneubau und dem damit verbundenen Lärm. In Neuhausen etwa nahm der Bezirksausschuss irritiert zur Kenntnis, dass Um- und Neubau am Rupprecht-Gymnasium bei laufendem Unterricht erfolgen sollen. Prüfungen schreiben mit Baulärm - wie soll das gehen, fragte man sich.

Im Münchner Norden haben die Eltern sich mittlerweile damit abgefunden, dass sie wohl nichts mehr am Baubeginn ändern können. "Die Aufträge für die Baufirmen sind bestimmt schon vergeben. Das kostet ja alles Geld", sagt Dagmar Ammon resigniert. Es ist Geld, das die Stadt angesichts der schlechten Haushaltslage eigentlich nicht hat. Deshalb sind einige Projekte aus der städtischen Schulbauoffensive verschoben worden. 52 Projekte befinden sich nach Angaben des RBS in Planung. 18 Schulen sollen in diesem Jahr fertiggestellt werden. 2021 würden demnach 597 Millionen Euro in Schulbaumaßnahmen investiert.

Dass auch in Milbertshofen gebaggert wird, liegt maßgeblich an den steigenden Schülerzahlen im Viertel. "Schon jetzt besteht - nicht zuletzt durch notwendige Interimsmaßnahmen - eine Enge auf dem Grundstück, die sich durch weiteres Zuwarten mit wachsender Schülerzahl noch steigern würde und die nur durch zeitnahe, erweiternde Neubauten zufriedenstellend aufzulösen ist", sagt Ursula Oberhuber vom RBS. Ein Ausweichquartier in der Umgebung sei nicht vorhanden gewesen. Im Herbst rollen also die Abrissfahrzeuge in Milbertshofen an. Eine Verschnaufpause für die Gründschülerinnen und -schüler ist nicht in Sicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: