Milbertshofen:Norderneyer Straße 10 in München - Ein trauriges Beispiel

Norderneyer Straße 10

Mit Fotos hat die Interessengemeinschaft die Zustände dokumentiert.

(Foto: privat)

Drei Einsätze der Polizei, ausgeräumte Wohnungen, dubiose Abmeldungen: Die Vorgänge in dem maroden Haus zeigen, wie rabiat mit Mietern umgegangen wird.

Von Nicole Graner, Milbertshofen

Norderneyer Straße 10. Das heruntergekommene Haus ist seit vielen Monaten ein trauriges Beispiel dafür, mit welchen Mitteln entmietet werden kann. Das Haus soll abgerissen werden, damit der private Investor Michael Küblbeck ein Boardinghouse für wohnungslose Familien bauen kann, das die Stadt München nutzen möchte; 147 Menschen sollen einmal in der Unterkunft leben. Geplanter Nutzungsbeginn ist laut Sozialreferat der 1. März 2017.

Gebaut aber kann erst werden, wenn der Noch-Eigentümer seiner Verpflichtung nachgekommen ist, alle seine gering verdienenden Mieter - die meisten von ihnen ohne schriftlichen Mietvertrag - in neuen Wohnungen unterzubringen. Erst waren es 45, dann 18, dann elf. Nun leben noch drei Menschen im maroden Haus. Zwei mit schriftlichem Mietvertrag, einer ohne. Unter schlimmen Bedingungen. Schon vorher war den Mietern das Leben schwer gemacht worden: Heizung abgestellt, Briefkästen abgeschraubt, ein Heizungskessel offen im Keller stehen gelassen. Nun wurde auch noch im Sommer eingebrochen, so erzählen es die drei letzten Mieter.

22. August: Aleko B. und Zalo D., die in Wirklichkeit anders heißen, haben Urlaub. Sie sperren ihre Wohnung im Haus an der Norderneyer Straße 10 ab und fahren nach Bulgarien. Ein paar Tage später entdeckt der dritte Mieter des Hauses, dass die Tür zur Wohnung von B. und D. aufgebrochen worden ist. Die Wohnung ist durchwühlt, Gegenstände liegen auf dem Boden.

Der Nachbar informiert den Vertreter des derzeitigen Hauseigentümers, der seinen Namen nicht öffentlich machen möchte. Nichts geschieht. Im Beisein von Vertretern der Interessengemeinschaft Norderneyer Straße 10 (IG-N10), Michael Hübsch und Andrea Schöner, wird die Polizei gerufen. Die Beamten nehmen den Tatbestand auf. Kurze Zeit später versperrt ein neues Vorhängeschloss die Tür.

25. September, Wochen später: Die Fahrt von Bulgarien nach München war lang. 20 Stunden. Aleko B. und Zalo D. stehen vor ihrer Wohnungstür im Haus an der Norderneyer Straße 10. Sie kommen nicht in ihr Zimmer. Ein Vorhängeschloss, zu dem sie keinen Schlüssel haben, versperrt die Tür. Auch sie rufen den Sprecher des Eigentümers an und verlangen Aufklärung. Dieser gewährt, so erklären es die Betroffenen, keinen Zutritt zu der Wohnung, öffnet aber die Tür: Das Zimmer ist leer geräumt. Laut B. und D. will der Vertreter das Problem mit dem Eigentümer besprechen.

"Wir wollten unsere Sachen einfach wiederhaben"

26. September: Es wird, erklären die beiden Betroffenen, mit dem Eigentümer-Vertreter keine Einigung erzielt. Sie rufen die Polizei. "Wir wollten unsere Sachen einfach wiederhaben", sagt Zalo D. Zwei Betten, einen Esstisch, einen Fernseher, drei Lampen, Medikamente, Geld und Kleidungsstücke. Die Polizei nimmt den Vorfall auf. Alle Aussagen der Betroffenen sowie der Zeugen Michael Hübsch und Andrea Schöner liegen der Süddeutschen Zeitung vor.

Der Eigentümer-Sprecher, so protokollieren Aleko B. und Zalo D. weiter, habe den Betroffenen daraufhin einige Gegenstände aus der Wohnung zurückgegeben, die auf dem Grundstück in einem Anhänger untergebracht gewesen seien. Und: Sie durften, da keine richterliche Räumungsbefugnis vorlag, in die Wohnung zurück. Notdürftig richten sie sich wieder ein. In einem der schon längst verlassenen Zimmer findet Zalo D. wenigstens noch eine Matratze und ein Bett.

Eine Anzeige liegt, wie der Pressesprecher des Polizeipräsidiums, Werner Kraus, bestätigt, bei der Kriminalpolizei vor und werde an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Es werde ermittelt, das Haus sei der Polizei bekannt. Dreimal sind Beamte in diesem Jahr laut Kraus in die Norderneyer Straße 10 gerufen worden. "Ich weiß nicht genau, was da passiert ist", erklärt der Vertreter des Eigentümers, "es war wohl einer drin in der Wohnung". Persönliche Sachen seien aber nicht auf einem Anhänger untergebracht gewesen, sondern nach wie vor im Wohnraum. Außerdem übernachteten häufig auch andere Leute in den Wohnungen. Mehr wolle er aber dazu nicht sagen.

Die Polizei stellt bei ihrem Einsatz am 26. September fest, dass die drei Mieter nicht gemeldet sind. "Davon haben wir", sagt Zalo D., "nichts gewusst. Wir haben uns ordnungsgemäß angemeldet." Die Polizei verzeichnet, wie sie mitteilt, die letzte "Abmeldung von Amts wegen" im Jahr 2014. "Die Abmeldung erfolgt", so erklärt es Johannes Mayer, der Pressesprecher des Kreisverwaltungsreferats, "nur durch die meldepflichtige Person selbst oder durch die Meldebehörde". Wer aber hat die letzten Mieter, die sich mittlerweile bei der Meldebehörde an der Poccistraße erneut wieder angemeldet haben, tatsächlich abgemeldet? "Das ist mir nicht bekannt", sagt der Eigentümer-Vertreter und stellt fest, dass die Mieter "keine Engel" seien "und der Vermieter auch nicht".

Eine Bierflasche liegt in der für Herbst viel zu hohen Wiese

Rudolf Stummvoll, Leiter des Münchner Amts für Wohnen und Migration, ist entsetzt über die Zustände. Immer wieder hat er in den vergangenen Monaten im Fall Norderneyer Straße betont, dass der Eigentümer seinen Verpflichtungen nachkommen müsse, die Mieter "ordentlich" unterzubringen. "All das", sagt Stummvoll, "hat ein Geschmäckle".

Er könne dem Vertreter des Eigentümers nur dringend raten, "rechtstreu mit den Mietern umzugehen". Noch einmal macht er auch deutlich, dass die Stadt München weder Träger noch Mieter der neuen Unterkunft sein wird. "Wir sind keine Vertragspartner, aber wir haben dem neuen Investor Küblbeck signalisiert, dass wir natürlich Interesse haben, Menschen, die dringend Wohnraum suchen, bei ihm unterzubringen."

Der Garten des Grundstückes an der Norderneyer Straße 10 in Milbertshofen ist verwahrlost. Eine Bierflasche liegt in der für Herbst viel zu hohen Wiese, überall liegt Müll herum. Ein kleiner Gartenverschlag zerfällt. Durch die dreckigen Erdgeschoss-Fenster blickt man in leere Räume. Dort ein Stuhl, da ein kleiner Tisch. Ein Schuh. Eine Decke.

Schon vor Wochen haben einige Mieter das Haus verlassen, ohne eine neue Wohnung bekommen zu haben, andere fanden mit Hilfe der IG-N10, der Stadt und auch des Eigentümer-Vertreters Wohnungen. Auch Zalo D. wird demnächst in eine Sozialwohnung ziehen können. "Wir haben ja auch mit allen geredet und Wohnungen vorgeschlagen", sagt der Sprecher des Eigentümers. Bleiben noch zwei Mieter ohne Wohnung. Zalo D. bleibt trotzdem derzeit noch in der Norderneyer Straße 10. Weil er, wie er sagt, endlich sein Eigentum zurückhaben möchte.

Dem Nachbarn von Aleko B. und Zalo D. wurde indessen per Anwalt eine fristlose Kündigung zugeschickt. Zum 10. November muss er raus. Ein Kündigungsgrund: Er habe die Miete nicht gezahlt. Diese habe der Eigentümer jedoch, wie die Mieter des Hauses immer wieder erklärt haben, jeden Monat in bar im Haus einkassiert. Angeblich aber seien, so heißt es, die Mieter in den vergangenen Monaten von der Mietzahlung freigestellt worden. Ein Widerspruch. Nicht der einzige im Haus an der Norderneyer Straße 10.

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