Milbertshofen:Ein Traum

künstlerisches Zwischennutzungsprojekt am Alten St.-Georgs-Platz in Milbertshofen

Fünf Freunde suchen ein Zuhause für ihre Kunst.

(Foto: Florian Peljak)

Als Haus für junge Künstler wäre ein denkmalgeschützter Bau am Alten St.-Georgs-Platz ideal. Doch leider ist da dieses Schimmelproblem

Von Jerzy Sobotta, Milbertshofen

Valerija Saplev blättert in einem Heft, ihr Finger zeigt auf ein Foto. Darauf ist ein Hochzeitskleid aus Cellophan zu sehen, die durchsichtige Folie ist beschrieben. "Bräuche, Aberglaube, Rituale aus Sibirien", sagt die 22-Jährige. Das Kleid ist ein Kunstwerk, das die Münchnerin neben vielen anderen geschaffen hat. Sie zeigt weitere Fotos aus ihrer Mappe: Zeichnungen, Texte, ein lebensgroßer Mantel aus Plastikbeuteln. "Man kann sich künstlerisch entdecken. Wenn man nur den Platz dafür hat," sagt sie. Doch genau dieser Platz fehlt ihr. Sie lebt noch bei ihren Eltern. Und an der Münchner Kunstakademie, an der sie seit Monaten studiert, hat sie auch keinen Arbeitsraum. "Wo soll ich dann an meiner Kunst arbeiten?"

Ein Ort dafür könnte in Milbertshofen entstehen. Zumindest ist das der Wunsch von Saskia Adlon, der Geschäftsleiterin des Vereins Stadtteilarbeit. Sie setzt sich dafür ein, dass das denkmalgeschützte Haus am Alten St.-Georgs-Platz 4 in ein Künstlerhaus verwandelt wird. "Ein Ort für Kreative, zum Kennenlernen, gemeinsamen Arbeiten und für Ausstellungen", sagt sie. An der Fassade hängt über den Fenstern im ersten Stock noch ein großes Schild: "Stadtteilzentrum Milbertshofen" und das Logo des Vereins. Mehr als 30 Jahre hat die Stadtteilarbeit dort einen Treffpunkt für Jugendliche und Erwachsene betrieben, bis sie im vergangenen Jahr in moderne Räume umgezogen ist. Seitdem steht das fast 200 Jahre alte Haus leer.

Valerija Saplev schaut es sich zusammen mit einigen Künstlerfreunden an. Ein großer Saal mit Holztresen steht im Erdgeschoss, daneben einige Tische, Stühle und altes Gerümpel. In die beiden oberen Stockwerke führt eine knarrende Holztreppe. Sieben Zimmer, in verschiedenen Größen. "Ein tolles Gebäude", sagt Luis Platzer, einer ihrer Freunde. Man könne einen Werkraum einrichten und eine Dunkelkammer. "Im großen Saal könnte man zusammen kochen und sich über die Kunstwerke austauschen. Davon lebt unsere Arbeit doch. Wenn wir nur zuhause rumsitzen, dann vereinsamen wir", sagt der 18-Jährige. Die Staffelei neben seinem Bett nehme die Hälfte seines WG-Zimmers ein. Mit ein paar Freunden wollte er mal eine Garage anmieten. Doch sie haben nichts gefunden.

Der Platz ist knapp in München und für Künstler oft unbezahlbar, erst recht für die ganz jungen. Zwar zahlt die Stadt für Ateliers einen Zuschuss von bis zu 200 Euro monatlich, aber Platzer hilft kein Zuschuss. Er verdient mit seinen Bildern noch kein Geld und ist froh, wenn er überhaupt Geld für sein WG-Zimmer zusammenbekommt. "Ich würde gerne in München bleiben. Aber ich weiß nicht, ob ich kann", sagt er. Viele seiner Freunde überlegen wegzuziehen. "Wenn die jungen Künstler die Stadt verlassen müssen, dann dörrt sie aus."

Noch ist Platzer Teil eines Programms im "Imal" im Neuhauser Kreativquartier, das jungen Erwachsenen jedes Jahr erste Schritte in der Kunstwelt ermöglicht, inklusive Atelier und Geld für Material. Es wird vom gemeinnützigen Träger "Kontrapunkt" organisiert, der sich gemeinsam mit dem Verein Stadtteilarbeit auch um das neue Künstlerhaus in Milbertshofen kümmern würde. Vorausgesetzt der Stadtrat zieht mit. Der wird am Mittwoch entscheiden, ob er die Kosten für das Künstlerhaus übernimmt. Das Haus gehört zwar der Stadt, aber jährlich werden etwa 100 000 Euro anfallen für laufende Kosten und einen Sozialarbeiter, der in Teilzeit die jungen Künstler unterstützt. Das Kulturreferat ist für das Projekt.

Neben Werkstätten für bildende Künstler kann sich Saskia Adlon vom Verein Stadtteilarbeit auch Co-Working Spaces für Kreative, Initiativen und Netzwerke in dem Haus vorstellen: "Das Haus soll ins ganze Stadtviertel ausstrahlen." Junge Menschen unter 30 könnten sich dann mit ihren Projekten für einen begrenzten Zeitraum bewerben. Ein Beirat würde entscheiden, wer vorübergehend einen Platz bekommt. "Ansonsten soll es von den Künstlern selbst organisiert sein", sagt Adlon. Kein fester Zirkel also, sondern ein Anzugspunkt für die junge Kunstszene, der ständig im Fluss ist. Ein Kunstrefugium mit spitzem Dach, inmitten der tristen Blockbauten an der Moosacher Straße.

Allerdings gibt es ein Problem, das schon den Verein aus dem Gemäuer vertrieben hat: die Feuchtigkeit. Sie dringt aus dem Boden ein und lässt vom Keller her die Wände schimmeln. Der Verein musste daher immer wieder viel Geld für Ausbesserungen zahlen. Dauerhafte Arbeitsplätze dürfen wegen des Schimmels hier nicht mehr untergebracht sein. Daran ist auch ein anderes Vorhaben für den Ort gescheitert, über das letzten Winter viel diskutiert wurde: ein Stadtteilmuseum für die Geschichte Milbertshofens. Eine Rundum-Sanierung war dem städtischen Kommunalreferat zu teuer, und abreißen kann die Stadt das denkmalgeschützte Haus nicht. "Das Gebäude ist im aktuellen Zustand für niemanden nutzbar. Eine Nutzung wäre außerdem gesundheitsgefährdend", heißt es auf Anfrage beim städtischen Kommunalreferat. Saskia Adlon sieht das anders: "Die Künstler sind nur einige Stunden am Tag dort und wechseln immer durch", sagt sie. Etwas ganz anderes sei das als dauerhafte Büros oder Museumsexponate. Und die Werkstätten könne man im ersten Stock aufbauen.

Ob das Künstlerhaus tatsächlich kommt, ist also noch unklar. Laut Adlon könnten die Künstler es sofort nutzen, wenn der Stadtrat der Finanzierung am Mittwoch zustimmt. Renovieren müsse man es nicht, sagt sie. "Die Künstler können es sich dann so einrichten, wie sie es wollen." Auch Valerija Saplev würde sich bewerben und hier ihr Hochzeitskleid aus Cellophan aufstellen. Das steht zurzeit in einem Atelier in Moosach. Doch das muss sie in zwei Wochen räumen. Wo sie ihr Kunstwerk hinstellt, wenn es mit dem Künstlerhaus nicht klappt? Das weiß sie nicht.

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