Süddeutsche Zeitung

Migrationsbeirat in München:Wahlbeteiligung am Boden

Nur 3,1 Prozent der 400 000 Münchnerinnen und Münchner ohne deutschen Pass haben am 19. März an der Wahl zum Migrationsbeirat teilgenommen - und damit so wenige wie nie zuvor. Trotzdem geben sich Stadtrats-Parteien erleichtert: Deutlich weniger Stimmen gingen an rechtsnationale türkische Gruppen.

Von Andrea Schlaier

"Deine Stadt. Deine Wahl!": Der Slogan hat nicht im Geringsten verfangen. Mit dieser Plakat-Botschaft warb München in zig Sprachen und einem Kopf, bestehend aus vielen Gesichtern, fünf Wochen lang flächendeckend an Haltestellen, in Bibliotheken, Vereinsheimen und schaltete Anzeigen in den sozialen Netzwerken. Die Aktion sollte den erhofften Schub bringen für die Beteiligung zur Wahl des Migrationsbeirats am 19. März. Beim Urnengang 2017 hatten hier mit 3,6 Prozent nur dramatisch wenige Münchnerinnen und Münchner ohne deutschen Pass ihre Stimme abgegeben. Dieses mal sank die Zahl dem vorläufigen Wahlergebnis zufolge noch weiter: auf 3,1 Prozent.

Damit trägt das Gremium seine Altlast weiter mit sich herum: das Problem, in den eigenen Communities nicht sichtbar zu sein. Weder als Vertretung, die den Stadtrat im Sinne einer politischen Teilhabe ihrer Mitglieder berät, noch als Gruppe, die integrative Veranstaltungen und Projekte auf den Weg bringt. Der Münchner Migrationsbeirat vertritt mit 400 000 Menschen aus 180 Ländern fast ein Viertel der Stadtgesellschaft. An die Urne gingen davon am 19. März nach Angaben der Stadt nur 12 508 Personen - die offiziellen Zahlen werden am Mittwoch, 29. März, bekanntgegeben.

Vom Stadtrat unterstützte Listen holen auf

Nach der erschreckend niedrigen Wahlbeteiligung 2017 waren sich sowohl Beirat als auch Stadtrat einig, dass sich was ändern muss: per Reform. Die hielten beide Seiten auch für notwendig, weil es zu Beginn der vergangenen Amtsperiode die Sorge gab, rechtsnationale türkische Gruppen, die teilweise auch in Verbindung stehen mit der als Graue Wölfe bekannten Ülkücü-Bewegung, könnten den Migrationsbeirat dominieren.

Von den 40 Sitzen im Gremium besetzten die beiden Gruppen, um die es dabei ging, Atlas und die Initiative Ay Yildiz, insgesamt zwölf. Die türkisch-Internationale Union Atlas war bislang mit acht Sitzen absoluter Spitzenreiter. Bei der aktuellen Wahl zeichnet sich nun ein ganz anderes Tableau: Mit jeweils sechs Sitzen sind Atlas und die von der Stadtrats-CSU-unterstützte Allianz Münchner Migranten gleichauf. Mit fünf Sitzen folgen "United in Diversity", für die sich die im Rathaus vertretene Volt-Partei stark gemacht hat.

Jeweils drei Sitze gehen auf das den Grünen nahestehende Vielfaltsbündnis, die Internationale Liste der progressiven Sozialdemokraten und schließlich auch die Initiative Ay Yildiz. Je zwei Sitze haben Griechische Liste, das Aktionsbündnis vielfältig und solidarisch sowie die Liberale Liste, die die amtierende Vorsitzende des Beirats, Dimitrina Lang, anführt. Sie gehört dem Gremium damit wieder an. Jeweils ein Sitz entfällt auf acht weitere Listen.

"Jünger, weiblicher und vielfältiger"

Die Reaktion der Grünen im Stadtrat muss man sich wohl als kollektives Aufatmen vorstellen: Man gratuliere allen demokratischen Kräften zum erfolgreichen Abschneiden bei den Wahlen, heißt es. "Insbesondere freuen wir uns, dass der künftige Migrationsbeirat deutlich jünger, weiblicher und vielfältiger sein wird." Demgegenüber hätten die "rechten und ultranationalistischen Kräfte" deutliche Verluste erlitten. Noch fokussierter auf die eigenen Reihen klingt der Zuruf von Manuel Pretzl, CSU-Fraktionsvorsitzender im Rathaus, für seine christsoziale Parteikollegin: "Ganz besonders gratuliere ich Olga Dub-Büssenschütt". Mit 5232 Stimmen sicherte sich die gebürtige Ukrainerin das beste Ergebnis.

Grüne und CSU haben im Verbund vergangenen Sommer mit einem gemeinsamen Reformvorschlag einen echten Aufreger im Stadtrat provoziert: Gegen das Veto aller anderen Parteien setzten sie durch, dass dem Migrationsbeirat künftig zehn beratende, stimmberechtigte und vom Stadtrat bestimmte Mitglieder zur Seite gestellt werden. Wirkmächtiger solle die Gruppe dadurch werden, und wehrhafter gegen Rechts.

"Früher haben die sich Null interessiert!"

Die migrantische Vertretung nennt das "Bevormundung" und weiß die Rathaus-SPD an ihrer Seite. "Das ist nicht demokratisch", sagt SPD-Stadtrat Cumali Naz, der von 1998 bis 2010 selbst Vorsitzender des Beirats war. Die neuerlich niedrige Wahlbeteiligung sei "enttäuschend". Er führt sie auch darauf zurück, "dass das ausschließlich ein beratendes Gremium des Stadtrats ist und machtpolitisch nichts machen kann. Das behindert die Motivation." Gleichzeitig freue er sich, dass sich diesmal die etablierten Parteien für die Wahl engagiert hätten. "Früher haben die sich Null interessiert!" Die Tatsache werde nun auch die gemeinsame Arbeit stärken und politischer machen.

Die Amtszeit des Beirats ist auf drei Jahre verkürzt. 2026 soll wieder gewählt werden, dann erstmals parallel zur Kommunalwahl. Auch das ist Teil der Reform, von der Naz hofft, dass sie mehr Akzeptanz generiert als der jüngste Plakat-Slogan.

Hinweis der Redaktion: Gönül Kurt, Mitglied auch im neu gewählten Münchner Migrationsbeirat, legt stellvertretend für die Liste Atlas Wert auf die Feststellung, dass ihre Gruppe "international aufgestellt" sei und "keinerlei Bestrebungen" enthalte, "die auch nur im Ansatz als rechtsnational bezeichnet werden können". Zu den Atlas-Leitlinien gehöre es nach ihren Worten, "gegen jede Art von Gewalt und Terrorismus sowie gegen extreme politische Richtungen vorzugehen".

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