Süddeutsche Zeitung

Untervermietung:Reich in den Urlaub

Über den kaputten Mietmarkt und geldgierige Immobilienhaie schimpft der Münchner gerne. Bis der Urlaub ansteht und die eigene Bleibe untervermietet werden muss.

Glosse von Laura Kaufmann

Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht, soll Abraham Lincoln gesagt haben. Natürlich konnte der einstige US-Präsident nicht ahnen, dass sich die Charakterfestigkeit eines Münchners 150 Jahre später in dem Moment zeigen wird, wenn bei ihm ein Auslandsaufenthalt ansteht.

Die Macht, die ihm damit zuteilwird, ist das Herrschen über die paar Quadratmeter, die er in dieser Stadt okkupiert. In der Regel nicht ganz das Weiße Haus, und in der Regel zur Miete. Und wer wird denn, verlässt er die Stadt, bei diesem Notstand eine Wohnung leer stehen lassen - sei es für Jahre, Monate oder nur zwei Wochen Osterferien? Richtig, niemand. Nahe dran an asozial wäre das. Außerdem muss der Münchner ja in der Zwischenzeit anderswo wohnen und dort seine Unterkunft bezahlen.

Und mal ehrlich: Wäre es nicht schön, wenn das Reisebudget noch einmal 100 Euro höher wäre? Welch Reichtum das in Indien oder Südostasien ist, unendlich viele Yoga-Stunden am Strand, klimatisiertes Zimmer mit Meerblick ... Und 100 Euro, was ist das schon in einer Stadt wie München?

Zitternd verharrt der Finger über der Tastatur, als die Wohnungsannonce ins Netz getippt wird. Man hat ja viel Arbeit mit so einer Untervermietung, die ganze Putzerei! Gut gepflegt und liebevoll eingerichtet ist die Wohnung auch! Und wäre sie neu auf dem Mietmarkt, würde sie das Doppelte kosten! Die Zahl auf dem Bildschirm löscht sich flackernd und erscheint neu. Die Nebenkosten! Da gibt es sicher noch welche, an die man gerade nicht einmal denkt!

Der Münchner zögert. All die Abende, die er damit verbracht hat, mit seinen Freunden über den kaputten Mietmarkt und die Immobilienhaie zu schimpfen. Hier sitzt er nun, alleine mit seinem Gewissen. Kalkuliert. 1000 Euro für 37 Quadratmeter, so schlimm ist das wahrlich nicht, es gibt ja einen Balkon. Der Münchner hat da schon weitaus krassere Angebote gesehen!

Die eigene Reisekasse gegen den kategorischen Imperativ, Eigennutz gegen Gemeinwohl, ein schlichter Charaktertest für Münchner. Sichtet man die einschlägigen Portale, fällt der Test bei einigen Kandidaten nicht besonders positiv aus. Alles findet einen Mieter, aber Yoga am Strand hilft dem Karma nicht. Und die nächste Kündigung wegen Eigenbedarfs kommt bestimmt.

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Quelle:
SZ vom 13.04.2019/kaal
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