Prozess wegen Modernisierungsumlage:Bewohner sollen bis zu 163 Prozent mehr Miete zahlen

Das sogenannte Hohenzollern-Karree am 16. Januar 2019 in Schwabing, München.

Das Hohenzollernkarree in Schwabing soll modernisiert werden.

(Foto: Jan Staiger)
  • Ein Vermieter will modernisieren - und die Mieter eines Wohnhauses sollen danach viel mehr Miete zahlen.
  • Der Münchner Mieterverein reicht dagegen bundesweit die erste Musterfeststellungsklage im Mietrecht ein.
  • Die Klage könnte darüber entscheiden, wie sehr der Vermieter seine Mieter an den Kosten für die Arbeiten beteiligen darf.

Von Anna Hoben

Der Brief kam per Bote, vier Tage vor Silvester 2018 - das Datum spielt in der Geschichte eine wichtige Rolle. Die Vermieterin, die Max Emanuel Immobilien GmbH, schrieb, sie wolle das sogenannte Hohenzollernkarree in Schwabing mit den 230 Mietparteien "an eine zeitgemäße Wohnsituation anpassen". Mit Wärmedämmungen, einem Austausch der Fenster und Wohnungseingangstüren, mit Rollläden und Balkonanbauten. Baubeginn solle im Dezember 2019 sein, die Kosten würden nach Abschluss der Maßnahmen zu elf Prozent auf die Mieter umgelegt - mit der Konsequenz, dass sich für viele die Miete dauerhaft nahezu verdoppeln würde. Das will der Mieterverein nicht hinnehmen - und zieht dagegen nun vor Gericht. Am Mittwoch hat er eine Musterfeststellungsklage beim Oberlandesgericht München eingereicht. Es ist im Mietrecht bundesweit die erste Musterfeststellungsklage.

Es geht um die Frage, ob ein Vermieter das darf - eine Modernisierung ankündigen, die erst mehr als zwei Jahre später umgesetzt wird, und damit "gerade noch altes Recht abgreifen", wie Volker Rastätter sagt, Geschäftsführer des Mietervereins. Er glaubt: "Das kann nicht rechtens sein." Im Hohenzollernkarree will der Vermieter von Ende 2019 an nämlich zunächst nur die Fundamente für die Balkone herstellen lassen. Erst ab März 2021 sollen die tatsächlichen Modernisierungsarbeiten beginnen. "Der Abstand zwischen Ankündigung und Beginn der Maßnahme ist viel zu groß", so Rastätter. "Normalerweise liegen dazwischen drei Monate. Deswegen sind wir der Meinung, dass hier neues Recht gelten muss." Gemäß einem Urteil des Amtsgerichts München dürften zwischen Ankündigung und Beginn einer Modernisierung nicht mehr als sechs Monate liegen.

Mieter fuerchten Mieterhoehung nach Modernisierung

Karin und Otto H. wohnen im Hohenzollernkarree.

(Foto: Philipp Guelland/Mieterverein)

Die Klage könnte also darüber entscheiden, wie sehr der Vermieter seine Mieter an den Kosten für die Arbeiten beteiligen darf. Das hat auch damit zu tun, dass sich im Januar die Rechtslage geändert hat. Nach neuem Recht darf ein Vermieter seitdem nur noch acht Prozent der Modernisierungskosten auf den Mieter umlegen, in jedem Fall aber höchstens drei Euro pro Quadratmeter innerhalb von sechs Jahren. Zuvor hatte er jedes Jahr elf Prozent umlegen können, und das zeitlich unbegrenzt.

Bei der künftigen Miethöhe der Bewohner im Hohenzollernkarree macht das einen eklatanten Unterschied aus. Karin und Otto H. zum Beispiel, 80 und 82 Jahre alt, wohnen seit fast sechs Jahrzehnten im Hohenzollernkarree. Für 77 Quadratmeter bezahlen sie 763 Euro kalt. Laut der Modernisierungsankündigung soll sich die Miete um 729 Euro erhöhen - sie müssten also fast doppelt so viel zahlen. Nach neuem Recht, dessen Anwendung der Mieterverein mit der Musterfeststellungsklage erreichen will, wäre im Fall des Ehepaars H. eine maximale Erhöhung von 230 Euro möglich. Bei einer anderen Mieterin im Haus soll die Kaltmiete von 395 auf 1040 Euro steigen - eine Steigerung um 163 Prozent. "Das kann ich mir nicht leisten", sagt Petra M., eine 61-jährige Verkäuferin. Ihre Hoffnungen liegen nun auf der Klage. Ansonsten sieht sie keine Möglichkeit, weiter in München wohnen zu bleiben. "Es ist schlimm, wenn man so rausgeekelt wird." Hat die Klage Erfolg, dürfte ihre Kaltmiete höchstens auf 542 Euro steigen.

Die Möglichkeit einer Musterfeststellungsklage gibt es in Deutschland erst seit dem vergangenen November; sie soll die Rechte von einzelnen Verbrauchern gegenüber großen Konzernen stärken. Verbände wie der Mieterverein können die Klage einreichen. Innerhalb von zwei Monaten müssen sich mindestens 50 Betroffene der Klage anschließen, indem sie sich in ein Prozessregister eintragen. Im Fall des Hohenzollernkarrees hat der Mieterverein bereits jetzt, bei Klageeinreichung, 67 betroffene Mieter benennen können. Nicht alle sind Mitglied; das ist auch keine Voraussetzung. Das gefällte Urteil gilt schließlich für all jene Mieter im Hohenzollernkarree, die sich über das Klageregister anschließen.

Das Oberlandesgericht werde die Klage nun prüfen, sagt Rastätter, zwei bis drei Wochen dürfte dies dauern. "Wir hoffen, dass sich dann noch mehr Mieter ins Prozessregister eintragen." Das Instrument der Musterfeststellungsklage könne einiges vereinfachen, glaubt er. Zum einen, weil nicht jeder einzeln klagen müsse, und zum anderen, weil das Verfahren gleich am Oberlandesgericht starte und eine Revision direkt zum Bundesgerichtshof gehe. "Wenn es gut läuft, wird das sicher nicht die letzte Musterfeststellungsklage eines Mietervereins gewesen sein."

Die nächste ist zumindest schon in Vorbereitung. Sie wird sich gegen den Wohnungskonzern Vonovia und dessen Nebenkostenabrechnungen richten. Bundesweit beschweren sich Mieter über angebliche Ungereimtheiten, sie vermuten, es stecke System dahinter. Zusammen mit weiteren Mietervereinen in Deutschland, etwa in Berlin und im Ruhrgebiet, prüfe man zurzeit, welche Wohnanlage sich am besten für die Klage eigne, sagt Rastätter. Vor der Sommerpause wolle man eine Entscheidung treffen; im Herbst könnte dann Klage eingereicht werden.

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