Süddeutsche Zeitung

Mieterschutz im Gärtnerplatzviertel:Im Schatten von "The Seven"

Lesezeit: 3 min

Von Birgit Lotze, Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt

Das Gärtnerplatzviertel, deutschlandweit bekannt für Gentrifizierung und als Versuchsfeld, eben diese in Schranken zu halten, steht vor dem Verlust des Milieuschutzes. Die Stadt hat angekündigt, dass die Erhaltungssatzung, die dort seit 25 Jahren gilt, nach dem 31. Mai nicht verlängert werden soll. Mieter sind darüber entsetzt, sie befürchten Luxusmodernisierungen, höhere Mieten und eine Welle von Kündigungen.

Der Bezirksausschuss Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt (BA 2) hat sofort die Stadt einhellig aufgefordert, die Satzung um weitere fünf Jahre zu erhalten. "Ein Auslaufen hätte fatale Folgen für das Gärtnerplatzviertel", sagte der Gremiumsvorsitzende Alexander Miklosy (Rosa Liste). Er erwarte keine Wunder, aber ein Mildern der Härtefälle. "Eine Erhaltungssatzung kann die Gentrifizierung am Gärtnerplatz nicht aufhalten. Aber sie begrenzt sie."

Die Mieter dürfen nicht alleingelassen werden

Auch der Mieterbeirat der Landeshauptstadt hat sich am Mittwoch eingeschaltet. Auch er will einen Antrag an die Stadt stellen und warnt davor, die Mieter jetzt allein zu lassen. "Es kann nicht sein, dass wir sie nach einem Vierteljahrhundert absolut hilflos und allein den Spekulanten überlassen. An diesem Scheideweg stehen wir gerade", sagte der Vorsitzende Matthias Jörg. Wer in diesem Viertel wohne, lebe in attraktiver Lage und oft in Altbauten.

Die Zahl der von der Stadt ausgestellten Abgeschlossenheitsbescheinigungen - die Voraussetzung für die Aufteilung eines Gebäudes in Eigentumswohnungen - sei vier Mal höher als sonst in München üblich. Die Gefahr, dass die bisherige Wohnbevölkerung, vor allem die Mieter, verdrängt würden, sei immer noch gegeben.

Ist ein Viertel gentrifiziert, ist es zu spät

Ob ein Viertel für schutzwürdig erklärt wird, hängt von verschiedenen Kriterien ab. So muss ein Viertel Wohnungen von mäßigem Stand haben, deren Aufwertung für die Hausbesitzer lukrativ wäre. Es muss auch Bewohner geben, die durch eine Sanierung gefährdet wären - kinderreiche Familien, Alleinerziehende, Rentner. Werden die Kriterien nicht mehr ausreichend erfüllt, greift die Erhaltungssatzung nicht mehr. Ist ein Viertel erst einmal gentrifiziert, ist es also zu spät.

Aus einer Untersuchung liegt dem zuständigen Planungsreferat nun die Information vor, dass sich die Zahl der über 74-Jährigen in fünf Jahren von 6,6 Prozent auf 3,7 Prozent beinahe halbiert habe. Und dass die Kaufkraft im Viertel je Einwohner von 26 900 auf 33 750 Euro im Jahr gestiegen sei. Demnach seien die typischen Anwohner des Gärtnerplatzviertels heute weit eher gut situierte Doppelverdiener als Rentner, und sie hätten durchschnittlich 25 Prozent mehr Geld zur Verfügung als vor fünf Jahren. Für die Stadtverwaltung bedeute dies, so interpretiert Miklosy: "Damit ist das Kind in den Brunnen gefallen."

Die Stadt weist darauf hin, dass Milieuschutzsatzungen nicht die Mieter schützen sollten. Sie dienten vielmehr ausschließlich der Stadtplanung. Vermieden werden sollen nachteilige städtebauliche Entwicklungen, die zu befürchten sind, wenn die Wohnbevölkerung sich verändert. Mit nachteiligen städtebaulichen Entwicklungen ist zu rechnen, wenn Menschen wegen hoher Mieten verdrängt werden und wenn an anderer Stelle für sie günstige Wohnungen gebaut werden müssen. Oder wenn die Infrastruktur im ehemaligen Wohngebiet nicht ausgelastet ist oder eben an anderer Stelle extra geschaffen werden muss.

Im Viertel pocht man darauf, dass die Erhaltungssatzung so oder so einiges getan habe für die Mieter im Viertel, auch noch in den vergangenen fünf Jahren. Gerhard Metzger (Grüne), Beauftragter für Wohnungsfragen im BA 2, sagt, die Stadt habe wiederholt von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht. Einige Alteigentümer hätten Abwendungserklärungen unterschrieben und damit den Milieuschutz in späteren Kaufverträgen festgeschrieben.

"The seven" ist nicht der Schnitt

Diese Bemühungen seien wertlos, wenn die Erhaltungssatzung falle, sagt Metzger. Außerdem greife das sogenannte Umwandlungsverbot nur dort, wo auch die Erhaltungssatzung gelte. "Und das ist ein schärferes Schwert", sagt Metzger. Das Umwandlungsverbot, eigentlich heißt es Genehmigungsvorbehalt, überlässt der Stadt die Entscheidung darüber, ob ein Mietshaus in Eigentumswohnungen aufgeteilt werden kann.

Auch in der Gesamtschau kommt Gerhard Metzger zu einem anderen Ergebnis als die Stadt. Klar, einige Indikatoren zeigten, dass bereits Verdrängungsprozesse stattgefunden hätten und in München mittlerweile auch der Mittelstand von der Verdrängung bedroht sei. Das Ende der Gentrifizierung sei allerdings nicht erreicht, man müsse "weiterhin von einem wesentlichen Verdrängungspotenzial ausgehen". Seiner Ansicht nach kommt der deutliche Anstieg der Kaufkraft zu einem großen Teil von relativ wenigen Sehr-gut-Verdienern. Auch dafür lieferten die Zahlen des Planungsreferats ein Indiz. Danach sei die Zahl der Haushalte, die mit weniger als 1500 Euro auskommen müssten, von 15,6 auf 16,2 Prozent gestiegen.

Falls die Verlängerung der Erhaltungssatzung nicht in dem Rahmen wie bisher möglich sein sollte, schlägt der Bezirksausschuss eine "Bereinigung um einzelne Häuser" vor. Schon eine Herausnahme der Müllerstraße 7 - "The Seven" - senke die Kaufkraft je Einwohner bereits deutlich, heißt es im BA. Im Gärtnerplatzviertel werden für einige Neubauwohnungen, die von dem Milieuschutz nicht betroffen sind, angeblich fünfstellige Monatsmieten bezahlt. Auch werden in dem Areal schwindelerregende Verkaufspreise erzielt - Summen im zweistelligen Millionenbereich.

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Quelle:
SZ vom 17.03.2016
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