Wohnungsmarkt:Solidarität gegen den Irrsinn

Wohnungsmarkt: Alle zwei Monate findet der Mieterstammtisch in einem anderen Stadtteil statt, dieses Mal in Giesing.

Alle zwei Monate findet der Mieterstammtisch in einem anderen Stadtteil statt, dieses Mal in Giesing.

(Foto: Robert Haas)

Der Mieterstammtisch ist mittlerweile zu einer festen Institution in München geworden. Und will nun neue Impulse setzen.

Von Anna Hoben

Vor einem Jahr trafen sich in der Kneipe Frisches Bier in der Thalkirchner Straße zum ersten Mal Münchner Mieter, um sich auszutauschen über die Zumutungen des Mietmarkts und ihre meist unguten Erfahrungen mit Vermietern, Investoren und Spekulanten. In der Zwischenzeit ist der Mieterstammtisch zur festen Institution geworden, alle zwei Monate findet er in einem anderen Stadtteil statt, am Dienstagabend war er in der Obergiesinger Kneipe Riff Raff zu Gast. Organisiert hatte ihn diesmal die Aktionsgruppe Untergiesing, aber "Giasing is' ois Giasing", sagte Renate Cullmann von dem kleinen Stadtteilverein, "es ist also eigentlich alles eins".

Die Aktionsgruppe Untergiesing hat sich 2011 gegründet, damals verschwand die Burg Pilgersheim, eine Wirtschaft an der Pilgersheimer Straße, zweites Wohnzimmer für viele im Viertel, nachdem das Haus an einen Investor verkauft worden war. Seitdem protestiert die Aktionsgruppe mit einfallsreichen Aktionen gegen das, was man als Gentrifizierung bezeichnet. Wer in Untergiesing wohnt oder ab und zu dort unterwegs ist, wird etwa die an Bäumen aufgehängten kleinen Vogelhäuschen kennen, unter denen steht: "Wie viel Wohnraum brauchst du?" oder "Bezahlbarer Wohnraum ist die halbe Miete".

Das Prinzip des Mieterstammtischs geht so, dass Mieter sich und ihren Fall bei einem "Speeddating" vorstellen. Dieses Mal aber bekommen die etwa 70 Stammtischler im gut gefüllten Riff Raff zunächst einen Vortrag von Bernd Schreyer vom Sozialpolitischen Forum, zur städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme SEM und einem sozialen Bodenrecht serviert. Er beginnt mit einem unterhaltsamen Suchbild, zu sehen ist zweimal das gleiche Stück Wiese, dazu die Aufforderung: "Finde den Unterschied".

Der Unterschied besteht darin, dass das eine Ackerland ist und 8,50 Euro pro Quadratmeter kostet, das andere ist Bauland, zu haben für 5000 Euro. Es geht um die Probleme, die sich ergeben, wenn Wohnen "privatisiert wird wie jede andere Ware", so Schreyer, es geht um die Frage nach der Legitimität von Enteignungen als letztes Mittel, und es geht um die Bayerische Verfassung, in der es heißt: "Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen."

Dieser Satz sorgt immer wieder zuverlässig für einen Überraschungseffekt - "ha, großartig", entfährt es einem Zuhörer. Schreyer erklärt, warum man mit der SEM viel mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen kann als mit dem Instrument der sozialgerechten Bodennutzung, und vielleicht entsteht hier so eine neue Solidarität, mit jenen, die noch nicht da sind, aber in den nächsten Jahren in die rasant wachsende Stadt München ziehen werden.

Auch Thomas Lechner ist gekommen, er hat 2018 die "Ausgehetzt"-Demonstration organisiert. Es sei wichtig, appelliert er an die Bürgerinitiative "Ausspekuliert", neue Bündnispartner zu suchen und sich inspirieren zu lassen von Aktionen, die es anderswo schon gegeben habe in Zeiten der Krise. Denn er glaube schon, dass in puncto Mietirrsinn in den vergangenen zwei Jahren "etwas in Bewegung gekommen ist". Lechner schlägt vor, eine mögliche künftige Demo zu öffnen in Richtung der Frage: "In welcher Stadt wollen wir leben?" Viel Applaus.

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