Jazz:Nur Hui, kein Buh

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Im gleichen Bühnenbild wie hier drei Tage zuvor beim Act-Jubilee-Konzert in Berlin trat das Michael Wollny Trio in der Isarphilharmonie auf. (Foto: Georg Stirnweiß)

Die Geisterstunde des wieder überwältigenden Michael Wollny Trios in der Isarphilharmonie.

Von Oliver Hochkeppel

Außer denen, die das Album schon gehört oder schon einen Tour-Termin der vergangenen Woche - beispielsweise beim "Act-Jubilee" drei Tage zuvor in Berlin - besucht haben, hat wohl kaum jemand in der Isarphilharmonie das Stück erkannt, mit dem Michael Wollny und sein Trio mit Tim Lefebvre am Bass und Eric Schaefer am Schlagzeug den Abend begannen: George Gershwins "I Loves You Porgy" kam nahezu unkenntlich daher, nämlich mysteriös schwebend, und trotz seiner Romantik fast bedrohlich. Eine Version, die dem neuen Programm Wollnys geschuldet ist. "Ghosts" heißt es und spricht wieder einmal für die ungewöhnlichen Quellen und Ideen, von denen er sich inspirieren lässt. Geister und Gespenster aller Art also, freundliche oder böse, bevölkern diesmal Wollnys Musik, aber auch "haunting songs", also Stücke, die ihn verfolgen und die nun, siehe Gershwin, verwunschen nachhallen.

So geht das bei Wollny ja schon seit Längerem: Zuerst kommt eine Sound-Idee, ob es die Betonung des Melodischen (auch bei gänzlich unmelodischem Ausgangsmaterial) beim "Weltentraum" war, das akustische Echo auf Einsamkeit und Zeitgefühl bei seinem Corona-Solo "Mondenkind" oder zuletzt die rein elektronischen Klanggebirge von "XXXX". Dem ordnet sich das Repertoire nach Wollnys ganz persönlichem Empfinden unter. Hier reicht das von einer donnernden Highspeed-Variante von Schuberts "Erlkönig" über das minimalistische "Beat The Drum Slowly" von Timber Timbre (eine seiner Lieblingsbands), Nick Caves hier zum Bass-Synthie-Vehikel umgearbeiteten "Hand Of God" oder dem hauchzart gruseligen "Willows Song" aus dem - auch sehr komischen - britischen Horrorfilm "Wicker Man" bis zu Eigenkompositionen wie dem in der Tat atemlosen "Monsters Never Breathe", das sich fast parodistisch über Geistergewese lustig zu machen scheint.

Am Ende freilich ist dann alles, die Stücke wie das Konzept, nur der Steinbruch für das, was im Moment und im Zusammenspiel passiert. Selbst das seit langem als Zugabe gespielte "Little Person" (auch eine Filmmusik) erklingt völlig neu, dem Thema wie dem Augenblick angepasst. Das gut vorbereitete Spontane, der bewusst eingeschlagene Weg ins Risiko also ist es, was dieses Trio über seine instrumentale Meisterschaft hinaus so einzigartig macht. Nicht zuletzt dank Wollnys Weggefährten Eric Schaefer, der seine Gedanken zu lesen scheint, und dem wieder dazugestoßenen Bass-Berserker Tim Lefebvre, der den beiden einst beim "Weltentraum" den noch fehlenden, nennen wir ihn amerikanischen Doppel-Wumms beibrachte, gibt es in der Isarphilharmonie keinen Moment, der nicht überraschend, auf irgendeine Art überwältigend, in jedem Fall emotional erregend ist. Hui, was für eine wilde Geisterbahn-Fahrt!

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