Süddeutsche Zeitung

Gastronomie:Mexikanische Restaurants in München: Viva el cliché!

Ein Streifzug zeigt: Trotz imposanter Speisekarte geht es in vielen der Lokale vor allem ums Flüssige. Aber es gibt eine spannende Neueröffnung.

Von Franz Kotteder

Soll mal einer sagen, in München sei man nicht weltläufig! Ganz im Gegenteil, das Schöne an der Münchner Gastronomie ist ja gerade, dass man mit ihr nahezu jede Weltgegend kennenlernen kann. Es gibt tibetische Restaurants und georgische Lokale, äthiopische Cafés und israelische Grill-Bars, in denen man die spezielle Lebensart der Menschen in jenen Weltgegenden kennenlernen kann.

Welche Klischees über Mexiko viele Lokale transportieren

Freilich, das kann auch zu Fehlschlüssen führen. Wollte man anhand der in München gut vertretenen mexikanischen Lokale beurteilen, wie der Mexikaner und die Mexikanerinnen so ticken, ergäbe sich in etwa folgendes Bild: Die Menschen in dem schönen Land, das nach Ansicht vieler Kulinariker eine der besten Küchen der Welt aufweist, trinken den ganzen Tag über schweralkoholische Cocktails aus Eimern und essen dazu scharf gewürztes Hackfleisch oder Hühnchen, vermischt mit viel Bohnen und Mais, das in einen Teig mit der Konsistenz von nasser Wellpappe eingewickelt und wahlweise Burrito, Chivichanga oder Enchilada genannt wird. Trotzdem sind sie immer fröhlich, treten gern als Mariachi-Kapelle in Erscheinung und tragen wagenradgroße Sombreros. Viva el cliché!

Kulinarisch gesehen handelt es sich bei den meisten Lokalen genaugenommen um Tex-Mex-Schuppen, einer Verbindung der Küchen von Texas und dem nördlichen Mexiko. Das Essen ist scharf gewürzt und macht natürlich Durst, was wohl auch der Sinn der Essensaufnahme ist. Denn in Münchens Mexikanern geht es letztlich trotz imposanter Speisekarten meist doch mehr ums Flüssige.

Cocktails aus dem Masskrug

Zum Beispiel im Los Bandidos in der Thalkirchner Straße 71, einem Klassiker der Tex-Mex-Szene. Das Publikum ist recht jung hier und gemäßigt flippig. Die Mädchen orientieren sich makeuptechnisch gerne an der frühen Jennifer Lopez und die jungen Burschen tragen Frisuren, die glattrasierte Köpfe mit krönendem Haarbüschel kombinieren und irgendwie an das entzückende Kinderbuch "Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat" erinnern. Als reiferer Mensch ist man also froh, dass sich die anderen Gäste, wenn man das Lokal betritt, nicht zuraunen: "Schau hi, jetzt kommen sie schon zum Sterben hier rein!" Laut geht es zu, aber sehr entspannt.

Das Los Bandidos hat vermutlich schon viele Generationen von Jugendlichen in seine Form von mexikanischer Lebensart eingeführt, und die Musik, die der DJ auflegt, scheint noch von der Eröffnungsfeier zu stammen. Man hört zum Beispiel "Voulez-vous coucher avec moi?" von Labelle. Mitte der Siebzigerjahre war das ein Hit. Die Speisekarte umfasst um die 100 Positionen, aber eigentlich geht es um Tequila und Cocktails. Die gibt es hier vor allem im "Pitcher", im Masskrug also. Zur Happy Hour, die fast immer ist, wenn man nicht zu spät kommt, kostet der Caipirinha 8,90 Euro, pro Liter, versteht sich, der Tequila Sunrise und der Sex on the Beach nur 12,50 Euro. Für diesen Preis kann man sich's kaum selber machen.

Wann genau der Boom der Mexikaner in München begann, liegt im Dunkeln. Das Joe Peña's in der Buttermelcherstraße war Anfang der Achtzigerjahre eines der ersten Texmex-Lokale und wird seit Monaten dauerrenoviert. Das Mamasita am Isartorplatz hingegen sieht nur so aus, als existiere es schon seit diesen Tagen. Es ist ein innenarchitektonisches Kuriosum auf zwei Etagen, vor dem Speedy Gonzalez, laut unzähliger Zeichentrickfilme die schnellste Maus von Mexiko, sicher sofort Reißaus genommen hätte. Im Erdgeschoss öffnet sich dem Eintretenden eine Restaurantlandschaft mit Sitzgruppen auf verschiedenen Ebenen, die Wände sind verkleidet mit Dekoelementen, die im Baumarkt unter den Stichworten: "Steinwand, Schieferoptik, Polyurethan" laufen.

Die Bänke sind bezogen mit braunem Samtleder, die Barhocker mit weißen Schlangenhautimitat, und an der Wand brennt ein behagliches Kaminfeuer auf dem Großbildschirm von Samsung. Eine geschwungene Treppe führt hinauf in eine Galerie, die den ersten Stock ausfüllt. Tagsüber hält sich der Andrang in Grenzen, es gibt halt Mexikanisches von durchschnittlicher Qualität. Aber wochenends brummt der Laden, an der langen Bar gibt es eine riesige Auswahl an Cocktails.

Der neueste Zuwachs liegt am Giesinger Berg

So richtig in Schwung gekommen ist der Mexikaner-Trend in München durch die Systemgastronomie 1990. Ein junger Betriebswirt und ein junger Koch erfanden damals das erste Enchilada an der Ecke Gabelsbergerstraße. Eigentlich wollten sie ein Crêpes-Lokal aufmachen, entschieden sich aber spontan um. Heute macht die Enchilada-Gruppe des Betriebswirts Hermann Weiffenbach einen Jahresumsatz von 111 Millionen Euro. Sein damaliger Partner Thomas Hirschberger gründete später die Sausalitos-Kette, bei der der Schwerpunkt auf Cocktails liegt. Zusammen mit dem Ableger, der Burgerkette Hans im Glück, kommt er heute auch auf 88 Millionen Euro Jahresumsatz. Soll also mal einer sagen, die Texmex-Idee sei nicht ausbaufähig.

Aus dem neuesten Zuwachs der Mexikaner-Szene wird aber wohl keine Kette werden. Machete heißt das Lokal, das vor kurzem ins ehemalige Kaffee Giesing an der Bergstraße 5 eingezogen ist. Benannt ist es nach dem gleichnamigen Trash-Kultfilm von Robert Rodriguez, und ein Wandgemälde zeigt denn auch Hauptdarsteller Danny Trejo. Klar, auch hier gibt es Cocktails in rauen Mengen, und die Innenausstattung ist ein wenig kitschig geraten: Sogar vor die Heizkörper hat man einen Holzlattenzaun gestellt. Dafür ist das Essen aber eine echte Überraschung.

Küchenchef Ramón Mendoza, selbst Mexikaner, hat es sich zum Ziel gesetzt, die Küche seiner Heimat einigermaßen authentisch auf den Münchner Tisch zu bringen, und so gibt es etwa Ceviche Acapulco, durch Limettensaft gegarten Fisch für neun Euro, den Kaktussalat Ensalada de Nopales für 7,50 Euro. Beides von durchaus sehr anständiger Qualität, auch das Cochinita Pibil, in Anchiote-Paste und Orangen mariniertes Spanferkel mit einer wirklich tränentreibenden, sehr scharfen Habanero-Soße, mundet vorzüglich. Da staunt man als Münchner Hobby-Ethnologe, der seine Kenntnisse über Restaurant-Küchen bezieht, dann doch: In Mexiko wird also nicht nur stramm gesoffen, dort kann man sogar richtig gut essen!

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Quelle:
SZ vom 28.11.2015/sekr
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