Metropoltheater in München:Wie es zur Absetzung des Theaterstücks "Vögel" kam

Metropoltheater in München: Eine Szene, die es in München so - vorerst - nicht mehr zu sehen gibt: Dialog im Stück "Vögel" im Metropoltheater.

Eine Szene, die es in München so - vorerst - nicht mehr zu sehen gibt: Dialog im Stück "Vögel" im Metropoltheater.

(Foto: Jean-Marc Turmes/Metropoltheater)

Die Liebes- und Familiengeschichte entstand 2017 und wurde seitdem weltweit vielfach aufgeführt, nach Antisemitismus-Vorwürfen wurde sie am Münchner Metropoltheater nun abgesetzt. Warum dies geschah und worauf sich die Vorwürfe beziehen.

Von René Hofmann

Worum dreht sich die Debatte?

Es geht um das Theaterstück "Vögel" von Wajdi Mouawad, das am 6. Oktober im privatwirtschaftlichen aber durch die Stadt München geförderten Metropoltheater in Freimann Premiere hatte. Es behandelt den Nahost-Konflikt, Fragen nach Herkunft und Religion und ist zugleich eine Familien- und eine Liebesgeschichte. Erzählt wird die Geschichte des jungen, jüdischen Wissenschaftlers Eitan, der sich in New York in die arabische Doktorandin Wahida verliebt, die er seiner Familie vorstellen will. Mit der jüdischen Geschichte und Tradition argumentierend, werfen Eitans Eltern ihrem Sohn Verrat am eigenen Volk vor, wenn er die Beziehung mit dem "Feind" weiterführt. Das Zerwürfnis bringt das junge Paar dazu, nach Israel zu reisen, um der Komplexität dieses Identitätskonflikts nachzugehen. Ursprünglich entstanden ist das Stück 2017 unter Mitwirkung jüdisch-israelischer Schauspieler am Pariser Théâtre national de la Colline. Es wurde weltweit vielfach gespielt und auch am Cameri-Theater in Tel Aviv aufgeführt; im deutschsprachigen Raum gab es 22 Inszenierungen. In Frankreich war es mehrere Jahre lang Abiturstoff.

Wer erhob wann welche Vorwürfe?

Am 8. November brachte Michael Movchin, Vorstandsvorsitzender des Verbandes jüdischer Studenten in Bayern (VJSB), die Münchner Aufführung öffentlich mit Antisemitismus in Verbindung. Am 11. November veröffentlichten der VJSB und die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) einen offenen Brief mit dem Vorwurf: "In ,Vögel' wird Holocaust-Relativierung sowie israelbezogener Antisemitismus salonfähig gemacht. (...) Wir fordern die Stadt München dazu auf, die Finanzierung des Stückes zu streichen!" Am 18. November führte JSUD-Präsidentin Anna Staroselski diese Kritik in einem Gastbeitrag in der Zeitung Die Welt weiter aus. In diesem heißt es: "Der Kulturbetrieb in Deutschland ist durchtränkt mit Antisemitismus - nicht erst seit diesem Jahr. Wir aber werden nicht mehr schweigen." Am gleichen Tag entschloss sich das Metropoltheater, alle noch geplanten Vorstellungen abzusetzen, auch eine Sondervorstellung, bei der sich Mitglieder des Stadtrats eine Meinung hätten bilden sollen.

Worauf stützen die Studierenden ihre Vorwürfe?

Sie kritisieren, dass Shoah-Relativierung und Vergleiche zwischen dem jüdischen Staat und Nazi-Deutschland eingesetzt und vom Publikum mit Applaus begrüßt werden. Als Belege führen sie unter anderem eine Szene an, in der der jüdische Großvater die Sicherheitskontrollen am Flughafen von Tel Aviv aus ihrer Sicht mit den Konzentrationslagern vergleicht: "Stecken sie uns jetzt in den Ofen?" Jüdinnen und Juden würden als prinzipiell rassistisch dargestellt und dämonisiert. So soll etwa der Großvater in der Vergangenheit ein arabisches Baby gestohlen haben. In einer Szene sagt Eitan: "Wenn Traumata Spuren in den Genen hinterließen, die wir unseren Kindern vererben, glaubst du, unser Volk ließe dann heute ein anderes die Unterdrückung erleiden, die es selbst erlitten hat?" JSUD-Präsidentin Anna Staroselski sieht darin, dass dem jüdischen Wissenschaftler die Gleichstellung der Shoah mit der Situation der Palästinenser in den Mund gelegt werde - und das Anzweifeln transgenerationaler Traumata. Ihr Fazit: "Vögel" besänftige "die nach Schuldentlastung suchenden Gemüter. Das Publikum versöhnt sich selbst mit der Geschichte und braucht dazu den Araber hassenden Juden".

Warum wurden andernorts nicht ähnliche Vorwürfe laut?

Als eine mögliche Erklärung hierfür führen die Studierenden Verkürzungen an - und die Übersetzung. Ursprünglich war der Text viersprachig: Deutsch, Englisch, Hebräisch, Arabisch. In München sprechen alle Akteure Deutsch. Außerdem, so die Studentenverbände, hätten sie Hinweise erreicht, dass die Problematik des Stückes auch an anderen Theatern durchaus ein Thema gewesen sei.

Was sagt der Verlag der Autoren, in dem das Stück erscheint?

Er zeigt sich bestürzt über die Absetzung. In einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung heißt es: "Dieser Schritt wurde provoziert durch ungerechtfertigte Vorwürfe gegen das Stück." Durch das Isolieren von Textpassagen würden JSUD und VJSB "versuchen, dem Text eine Haltung unterzuschieben, die er nicht vertritt": "Vögel" sei "vielmehr ein Theaterstück zur Verständigung zwischen den Völkern, den Kulturen, Religionen, Geschlechtern und Generationen". Deshalb müsse es "auch weiterhin gelesen, aufgeführt, gesehen und diskutiert werden, und das besonders in Deutschland".

Wie geht es weiter?

Intendant und Regisseur Jochen Schölch hat nicht ausgeschlossen, das Stück - womöglich überarbeitet - wieder aufzuführen. Die Grünen-Fraktion im Rathaus hat dazu einen Austausch unter Einbeziehung von VJSB und JSUD initiiert.

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