Süddeutsche Zeitung

Messestadt Riem:Solo mit Hanni und Beppo

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Zwei Familien pro Tag, eine pro Termin: Mit einem besonderen Konzept hat der Abenteuerspielplatz neben dem Kinder- und Jugendzentrum Quax im Münchner Osten wieder geöffnet. Das kommt bei Mensch und Tier gut an

Von Gözde Çelik, Messestadt Riem

Hanni, Beppo und Zementa sind hungrig. Ziemlich hungrig sogar. Dennoch ist der Behälter mit Heu hinter ihnen uninteressant, viel spannender finden sie die Menschen, die vor ihnen stehen. Neugierig beäugen sie die Gäste und reiben ihre Hörner gegen den Holzzaun. Es ist offenkundig nicht nur die Aussicht auf die Äpfel und Karotten, die ihnen die Besucher normalerweise zu fressen geben, welche die drei Ziegen so lebendig werden lässt. Es ist die Anwesenheit anderer Lebewesen. Man könnte sagen, dass die drei auch hungrig nach Gesellschaft sind.

Denn der zu normalen Zeiten gut besuchte Abenteuerspielplatz neben dem Kinder- und Jugendzentrum Quax ist, wie andere Institutionen auch, von den Auswirkungen der Pandemie betroffen. Wo sonst viele Kinder an den verschiedenen Spielgeräten spielen, die Ziegen füttern oder auch Kaninchen streicheln, ist nun Leere. Das findet Frank Naujek, einer der Betreuer auf dem Spielplatz, sehr schade. Er arbeitet für den Echo-Verein, der den Abenteuerspielplatz wie auch das Kinder- und Jugendzentrum daneben betreut. Er versorgt die Tiere, kümmert sich um die Kinder im Park und erledigt, was sonst noch so ansteht. In den vergangenen Wochen hat sich die Arbeit auf dem Spielplatz aber eher darauf beschränkt, ihn instand zu halten und die Tiere zu pflegen. Die Anfang Mai angekündigten Lockerungen betreffen den Abenteuerspielplatz als betreute Einrichtung nicht, dieser kann nur unter bestimmten Voraussetzungen wieder öffnen. Deswegen braucht es kreative, der Situation angepasste Lösungen.

Denn die Tiere vermissen die Kinder, und die Kinder, vor allem die im Viertel lebenden, vermissen "ihre" Tiere. Als vorläufige Lösung dürfen seit vergangener Woche montags bis donnerstags jeden Tag exakt zwei Familien auf den Spielplatz kommen. Zu unterschiedlichen Zeiten, um das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten. Das Konzept: Eins zu eins mit den Tieren - Abenteuerspielplatz ganz für einen selbst. Es ist zwar eine Übergangslösung, bis wieder alle zusammen spielen können, aber für die Kinder, die wie die Erwachsenen daheim festsitzen, eine ideale Beschäftigung, während der Großteil der Schulen geschlossen sind und das Spielen mit den Freunden nicht möglich ist.

Schnell gönnt Naujek sich noch einen Schokoriegel, bevor die erste Familie für diesen Tag eintrifft. Aufgescheucht durch das Geräusch der Verpackung werden die drei Ziegen neugierig und strecken ihm ihre Mäuler entgegen. "Des is nix für dich", sagt er lachend. Die Tiere bekommen nachher noch Äpfel und Karotten von den Kindern. "Den Kindern tut das wahnsinnig gut", erzählt er weiter, bevor er die Familie für den 14.30-Uhr -Termin begrüßt und den beiden Jungen erklärt, was sie alles in sicherer Entfernung und nach dem Händewaschen ausprobieren können.

Zu Beginn scheinen Paulo und Toni, die Geschwister, die an diesem Tag mit ihrer Mutter kommen dürfen, dies etwas ungewohnt zu finden und tasten sich eher zögerlich an die Kletterwand, den Basketballkorb und die Räder heran. Der zehnjährige Paulo ist in der vierten Klasse und muss zurzeit nicht nur auf die Schule, sondern auch auf das Boulder-Training verzichten. So fängt er mit der Kletterwand an, während sein fünf Jahre alter Bruder die Räder austestet. Es sind besondere Dreiräder, bei denen er im Liegen treten kann. "Kennst du die? Die hast du auch im Kindergarten", fragt ihn seine Mutter. Nebenbei bereitet Naujek Äpfel und Karotten vor, um Hanni, Beppo und Zementa zu füttern und berichtet, dass an normalen Tagen im Schnitt 30 bis 70 Personen im Park sind. Momentan eine Menge, die an keinem Ort gut vorstellbar ist. Nun sind pro Tag zwei Familien da und er selbst, der eine Stunde Stalldienst macht. "Denen ist sehr langweilig", führt er mit einem Blick auf die Tiere aus. "Es fehlen neun Stunden, in denen was los ist." Je mehr die Kinder ausprobieren, sei es die Rutsche, die Schaukel oder auch der aufgehängte Topf zum "Krach machen", desto mehr entsteht der Eindruck, als wäre eigentlich alles ganz "normal".

Nur in manchen Momenten wird die Skurrilität der Situation deutlich. Wenn beispielsweise Naujek die Kinder dabei anleitet, den Parcours zu bewältigen. Normalerweise würde er dicht dabeistehen und aufpassen, dass niemand hinfällt. Das würde in diesem Fall aber den Sicherheitsabstand unterlaufen, weswegen die Mutter mithelfen muss, während er selbst aus der Ferne Anweisungen gibt, wie weit es Paulo bis zum nächsten Stein hat. Immerhin sind die Instruktionen sehr gut zu verstehen. Schließlich gibt es, bis auf die Bewegungen der Ziegen und die leise raschelnden Blätter, nur wenige Hintergrundgeräusche. "Es ist eigentlich nicht anders als sonst auch", meint Naujek, "nur begrenzt eben." Er hofft darauf, dass aus diesem eingeschränkten Angebot bald mehr werden kann. Dass die Situation sich bessert, damit sie nach und nach mehr unternehmen können. Mehr Kinder einladen. Mehr Programm anbieten.

Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Erweiterung des Angebots von der vierten Maiwoche an. Denn ab da dürfen bereits zwei Familien aus einem Haushalt zur selben Zeit auf den Spielplatz. Auch die Kinder machen das Beste aus der momentanen Situation. Sie probieren alles aus, gehen nach nur einem kurzen "Mama, ich will das noch mal machen!" vom Basketballkorb zur Kletterwand und wieder zurück. Wartezeiten an den Spielgeräten gibt es keine. Jedenfalls bis 16 Uhr. Denn dann ist die nächste Familie dran.

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Quelle:
SZ vom 18.05.2020
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