Messestadt Riem:Smarte Hilfen

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Ob Tellerrand-Erhöher, Personenlifter oder sprachgesteuerte Rollläden - das Kompetenzzentrum "Barrierefreies Wohnen zu Hause" bündelt an seiner neuen Adresse auf dem ehemaligen Flughafengelände alle wichtigen Informationen

Von Renate Winkler-Schlang, Messestadt Riem

Ein paar Stufen am Eingang, eine Badewanne mit hoher Wand zum Duschen: Wer jung und gesund ist, sieht da kein Problem. Erst wenn man Krücken braucht, einen Rollator oder Rollstuhl, rücken Engstellen und Stolperfallen in den Fokus. Dann werden Betroffene aufmerksam auf die Beratungsstelle "Wohnen im Alter und bei Behinderung" des Vereins Stadtteilarbeit. Leiter Bernhard Reindl und sein Team erklärten Betroffenen in deren eigenen vier Wänden, mit welchen Hilfsmitteln oder Umbauten sie ihre Wohnung anpassen können und wer im Bedarfsfall Zuschüsse dafür gibt. Denn zuhause bleiben, so lange es geht, das wollen wohl die meisten. Die Sozialpädagogen gehen dabei auf den Einzelfall ein, sehen sich nicht nur die Architektur an, sondern auch die Situation. Sie fragen nach, welche Helfer verlässlich zur Verfügung stehen. Bis zu zwei Stunden kann so ein Termin dauern. Der Bedarf dafür ist hoch, die Warteliste lang, sogar für die ganz akuten Fälle.

An historischer Stelle: im modernen Komplex um die Wappenhalle des früheren Flughafens zieht das Kompetenzzentrum "Barrierefreies Wohnen zu Hause" ein. (Foto: Florian Peljak)

Aus diesem Grund kommt nun ein völlig neues Angebot hinzu: Die Beratungsstelle zieht um von der Aachener Straße in Schwabing in die Messestadt Riem und richtet derzeit an ihrer neuen Adresse, im modernen Gebäudekomplex am Konrad-Zuse-Platz 11 rund um die historische Wappenhalle des früheren Flughafens, ein Kompetenzzentrum "Barrierefreies Wohnen zu Hause" ein. Hier kann man in wenigen Wochen nicht nur sehen, sondern sogar ausprobieren, was ein Treppenlift leistet, wie höhenverstellbare Arbeitsplatten das Werkeln in der Küche erleichtern, wie sich kleine Rampen installieren oder Nassräume vergrößern lassen. Ersetzen soll diese Schau die individuellen Hausbesuche nicht, das ist Bernhard Reindl wichtig. Das Zentrum will den ersten Beratungsbedarf decken - am besten schon präventiv, vor einer Operation, einem Sturz oder Unfall.

Die Verantwortlichen haben auch an einen Konferenzraum und eine Café-Ecke gedacht, denn das Kompetenzzentrum dient der Vernetzung mit Architekten und Handwerkern, Fachkräften, Verbänden, Multiplikatoren, der Polizei, Studierenden und Forschenden. (Foto: Florian Peljak)

Stolz betritt Reindl den Aufzug, der im Eingangsbereich hilft, die ersten paar Stufen zu überwinden. Er wurde auf Wunsch des neuen Mieters nachgerüstet, denn der inklusive Anspruch müsse immer sein, "dass auch Behinderte den Haupteingang nehmen können", erklärt Reindl. Sein neues Reich im ersten Stock ist über einen weiteren Aufzug zu erreichen. Noch ist hier Baustelle, doch der Chef schafft es, dass man sich vorstellen kann, was kommen soll: In Sanitärbereich entsteht unter anderem auch eine öffentlich zugängliche "Toilette für alle", eine normgerechte barrierefreie Einrichtung mit einem Personenlifter, Pflegeliege, einem luftdicht verschließbaren Abfallbehälter und genügend Platz für den Wechsel von Inkontinenzeinlagen. Im "Pflegezimmer zu Hause" zeigt die Beratungsstelle, wie man sich das Leben leichter machen kann. Pfiffige Alltagshilfen wie Haltegriffe, rutschfeste Unterlagen, Tellerrand-Erhöher oder Greifhilfen für Schraubverschlüsse dienen ebenfalls der Selbständigkeit oder Entlastung von Pflegern.

Leiter Bernhard Reindl freut sich über den Lift. (Foto: Florian Peljak)

Nicht Firmen werden hier Produkte promoten, die Beratungsstelle behält die Oberhand über das, was präsentiert wird. Und das soll möglichst auf dem neuesten Stand, aber nicht nur der teuerste Standard sein. Einen breiten Raum nehmen künftig auch die Smart-Home-Systeme ein, denn digitale Lösungen wie sprachgesteuerte Rollläden, Lichtschalter oder Notrufe werden immer wichtiger. Ergänzt wird das neue Zentrum mit Fachliteratur und einer Recherche-Ecke, in der die Besucher Bezugsquellen vergleichen können. Die Verantwortlichen haben auch an einen Konferenzraum und eine Café-Ecke gedacht, denn das Kompetenzzentrum dient der Vernetzung mit Architekten und Handwerkern, Fachkräften, Verbänden, Multiplikatoren, der Polizei, Studierenden und Forschenden. Und es soll aufgesucht werden von Gruppen nicht nur aus München, sondern auch aus dem Landkreis und weit darüber hinaus aus ganz Oberbayern.

Deshalb werden die Erstausstattung und die laufenden Kosten neben dem Träger, dem Verein Stadtteilarbeit, künftig nicht nur von der Stadt München, sondern auch vom Landkreis, dem Sozialministerium und zahlreichen Stiftungen und Spendern finanziert. Auch den Bezirksausschuss Trudering-Riem hat man um einen Zuschuss von rund 25 000 Euro gebeten. Die laufenden Kosten werden sich etwa verdoppeln, denn es kommen auch weitere Hauptamtliche dazu - der Effekt und Nutzen wird sich aber, da ist Reindl sicher, vervielfachen. Gut ist das nicht nur für alle, die länger selbstbestimmt daheim wohnen bleiben können, sondern auch für die Allgemeinheit, denn in vielen Stadien einer Behinderung ist die Pflege zuhause billiger als ein Platz im Heim, weiß Reindl.

Dieser hatte zwar ursprünglich nach neuen Räumen im Parterre gesucht, doch nun ist er glücklich mit der Lage des Zentrums, denn zu den neuen Nachbarn wird nicht nur die Messe München gehören, sondern auch das Bauzentrum, das derzeit von der Willy-Brandt-Allee in den selben Gebäudekomplex umzieht. Reindl freut sich auf viele Synergieeffekte, etwa bei den geplanten Sonderausstellungen.

Ein genauer Eröffnungstermin steht noch nicht fest. Klar ist aber, dass das "KomZ-Wohnen", wie es abgekürzt heißt, an jedem Werktag und bei Bedarf auch samstags bei freiem Eintritt offen sein wird. Für die Aufsicht und kleine Führungen sucht Leiter Reindl auch jetzt schon interessierte Ehrenamtliche.

© SZ vom 04.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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