Messestadt Riem:Kein Mehl. Keine Zahnpasta

Elternkurs des Vereins Kindergesundheit mit Manuela Beckmann, für den wir im Dezember via Adventskalender Spenden gesammelt haben. Asylbewerberunterkunft Willi-Brandt-Allee/Lehrer-Wirth-Str, Riem

Haben viele Fragen: Junge Mütter wollen sehr genau wissen, wie das deutsche Bildungs- und Gesundheitssytem funktioniert.

(Foto: Florian Peljak)

Schutz vor Unfällen und Erste Hilfe: In einem Elternkurs des Vereins "Kindergesundheit" lernen junge, afghanische Mütter, wie sie ihre Kinder zum Beispiel bei Verbrennungen richtig behandeln können

Von Renate Winkler-Schlang

Messestadt Riem - Wie machen deutsche Eltern es, dass ihre Kinder tun, was man von ihnen verlangt? Dass die Kleinen nicht noch drei Stunden betteln, wenn sie ins Bett sollen? "Sogar die Hunde folgen in Deutschland aufs Wort." Die jungen afghanischen Mütter in Elternkurs des Vereins "Kindergesundheit" in der Asylbewerberunterkunft an der Willy-Brandt-Allee sind offenbar wirklich beeindruckt von den Erziehungserfolgen hierzulande. Eine deutsche Mutter werde leise, wenn sie ihrem Kind etwas erklärt, sie würden immer lauter. Sie sind auch stolz auf ihre äußerlich liebevollere Herangehensweise, sehen dann aber gleich ein: Wer so emotional rangeht, dem rutscht auch leichter die Hand aus. Dass das auf keinen Fall sein darf, ist ihnen aber klar, spätestens seit den ersten Stunden des Kurses, den Manuela Beckmann und Daniela Riedel halten.

Manuela Beckmann, Kinderkrankenschwester, die vom Sozialbürgerhaus geschickt wird, wenn das Kindeswohl gefährdet erscheint und vielleicht sogar eine Inobhutnahme droht, hat schnell gemerkt, wie traumatisiert von Krieg und Flucht und wie gestresst von Unsicherheit und einem Leben auf engstem Raum viele Eltern in der Unterkunft sind. Und dennoch: Für die Kinder muss gesorgt sein. Deshalb hat sie in dem von ihr 2011 gegründeten Verein "Kindergesundheit München" in Anlehnung an das Projekt "Starke Eltern - starke Kinder" des Kinderschutzbundes ein Konzept für "Elternkurse" für Flüchtlinge entwickelt. Den Lesern der Süddeutschen Zeitung gefiel es, viele haben im Rahmen des Adventskalenders für gute Taten auch dafür gespendet. So konnten drei Kurse ausgeschrieben werden, für nigerianische, für afghanische und demnächst noch einer für syrische Eltern, die Beckmann mit ihrer Kollegin Daniela Riedel hält, jeweils assistiert von einer muttersprachlichen Dolmetscherin und einer Kinderbetreuerin.

Die afghanischen Mütter erzählen es offenbar weiter, was da nun regelmäßig im Frauenraum der Unterkunft stattfindet, es kommen immer mehr und sie sind eifrig dabei. Bei den Nigerianerinnen schwankte die Zahl, erzählen die Leiterinnen, sie waren das eine Mal begeistert und beim nächsten Mal fehlten sie doch. Hier aber sind alle konzentriert, eine junge Frau, die ihr erstes Baby erwartet, während der Vater in Schweden ist, hat ihre Mutter mitgebracht: eine Analphabetin, die aber alles wach und aufmerksam verfolgt. Eine andere junge Mutter hat vier Kinder, will dennoch dazulernen, vor allem darüber, was sie über das deutsche Gesundheits- und Bildungssystem wissen muss.

Über Werte haben sie schon gesprochen, über die Bedürfnisse von Müttern und Kindern, über Frauenbilder und Frauenrechte, über Kinderrechte. Man könne es bedauerlich finden, dass die wenigen interessierten Väter sich gleich wieder zurückgezogen haben, als sie merkten, dass sie hier in der Minderheit waren. So, als reiner Frauenkurs, biete sich aber auch die Chance zu mehr Offenheit, sagt Beckmann. Frauen unter sich kommen auch auf Gewalt in der Familie zu sprechen - oder auf gynäkologische Themen wie sichere Verhütungsmethoden.

Wichtig sind Beckmann aber auch "diese ganzen vielen Selbstverständlichkeiten" wie Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen oder der Schutz vor Vergiftungen. Sicherheit im Haushalt ist das Thema, das sie für heute vorbereitet hat, sehr anschaulich mit Bildern und Karten. "60 Prozent aller Unfälle im Haus lassen sich vermeiden." Was tun, wenn es brennt? Sie reden über Rauchmelder, Fluchtwege im Haus, die Notrufnummer 112. Über die nötige Vorsicht in der Küche, vor allem bei heißem Öl. "Messer, Gabel, Schere, Licht - sind für kleine Kinder nicht": In Afghanistan gibt es einen ähnlichen Reim. Natürlich soll es in dem Kurs den Raum geben fürs Erzählen von Erinnerungen an die Heimat, die Frauen sollen nicht nur frontal belehrt werden, darum dauern die einzelnen Einheiten auch drei Stunden. Sie lachen, als Beckmann von der Gefahr spricht, wenn ein Kind am Tischtuch zieht: Kein Problem, wenn man zum Essen auf dem Boden sitzt!

Was es alles zu bedenken gilt für junge Mütter: Steckdosen sichern, Drachen nicht unter Hochspannungsleitungen steigen lassen, Verbrennungen sofort kühlen: "Kein Mehl, keine Zahnpasta, keine Kartoffeln." Erst schwimmen lernen, dann ins tiefe Wasser. Die Teilnehmerinnen sind voll des Lobes über die Kursnachmittage, freuen sich schon auf die offizielle Teilnahmebescheinigung, die es am Ende geben wird. "Ich habe viel gelernt", sagt etwa die 24-jähige Khadje. Taibe und Soraya nicken. Sie trauen sich, Fragen zu stellen über ihr Kind, das so oft Halsweh hat, wo sie eine gute Hebamme finden können und vieles mehr. "Danke. Ich finde, dass alle so einen Kurs machen sollten", sagt eine Teilnehmerin, die längst ihr Kopftuch abgelegt hat: "Das nächste Mal vielleicht nur für die Väter?"

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