Süddeutsche Zeitung

Messestadt Riem:In zwei Sprachen daheim

Barbara Yurtdas, renommierte Übersetzerin aus dem Türkischen, liest in der Messestadt

Von Renate Winkler-Schlang, Messestadt Riem

"Aber Türkisch ist doch so schwierig" - Barbara Yurtdas lacht und sagt: "Das ist jetzt auch so eine Mär. Die Regeln sind nicht so unlogisch wie im Deutschen. Es gibt auch kein 'der, die das'. Aber es hat einen sehr großen Wortschatz." Ob Yurtdas von der Sprache spricht, von der Literatur, von den gut ausgebildeten Frauen, dem technischen Fortschritt, der Versorgung - immer klingt da eine große Liebe mit für dieses Land, ein wenig Stolz.

Barbara Yurtdas übersetzt aus dem Türkischen, und sie macht das so einfühlsam und sprachgewandt, dass sie dafür im vergangenen Dezember mit dem renommierten Tarabaya-Preis für ihr Lebenswerk als Übersetzerin ausgezeichnet wurde. Romane von Duygu Asena, Mario Levi oder Nedim Gürsels "Allahs Töchter" hat sie übertragen. Sie hat sich in für sie fremde Welten eingearbeitet, damit im Deutschen jeder Begriff stimmt. Sie hat gute Kontakte zu ihren Künstlern, begleitet etwa Mario Levi demnächst auf einer Lesereise. Sie gilt als Kennerin der türkischen Literatur, unterbreitet ihrem Verlag auch immer wieder Vorschläge, welche Werke dringend dem deutschen Publikum zugänglich gemacht werden sollten. Denn sie ist sicher: Über tagesaktuelle Zeitungsberichte hinaus kann Literatur einen tiefen Zugang zu einem Land ermöglichen. Es werde viel gelesen in der Türkei heutzutage, meist kritische Literatur. Es sei doch spannend für die Deutschen zu wissen, was die Türken lesen, meint Yurtdas.

Dank ihres eigenen lyrischen Talentes und ihrer Erfahrung übersetzt sie auch Gedichte von Pelin Özer und Uzay Çiçeği. Was besonders schwer ist, denn die deutsche Sprache braucht mehr Worte für dasselbe Bild, dieselbe Aussage. Also versucht sie zu verdichten, ohne den Zauber der ursprünglichen Zeilen zu zerstören.

Erst kürzlich kam sie mit einem Koffer voller Neuentdeckungen zurück von einer Türkei-Reise. Ihre beiden Söhne leben dort, auch sie haben sich die Kenntnis zweier Sprachen und Kulturen zunutze gemacht, auch sie sind Übersetzer. 1970 war es, als Barbara Yurtdas, damals Lehrerin für Deutsch, Geschichte, Sozialkunde, sich in einen Türken verliebte, der für das Goethe-Institut gearbeitet hatte, gut Deutsch konnte. "Er las deutsche Bücher, also wollte ich auch türkische lesen": So begann ihre Beziehung zu dieser Sprache.

Anfang der Achtzigerjahre, in der deutschen Wirtschaftskrise, als Türken Heimkehrprämien bekamen, entschloss sich die junge Familie zum Umzug in die Türkei. Plötzlich frei von eigenen beruflichen Pflichten, begann Yurtdas, die schon als junges Mädchen Gedichte verfasst hatte, selbst zu schreiben. Die damals in Izmir entstandenen Bücher thematisierten ihr neues Leben. "Wo mein Mann zuhause ist" wurde ein Bestseller, mehrfach aufgelegt. Die Passagen über die Bereicherung und die Probleme binationaler Ehen sind unverändert aktuell. Es folgten Romane, eine "Gebrauchsanweisung für die Türkei". 1994 erschien "Wo auch ich zu Hause bin". Sie hatte sich eingelebt. "Literarische Spaziergänge" durch die Türkei, durch Istanbul, Artikel, Hörfunkbeiträge entstanden.

Die Liebe zum Mann hat nicht gehalten. Inzwischen ist Barbara Yurtdas nicht mehr in der Türkei daheim, die 78-Jährige, die so viel jünger wirkt, lebt und arbeitet in der Messestadt, in einer mit vielen Büchern und fröhlich-bunten Textilien eingerichteten Wohnung mit Alpenblick. Sie genießt dieses internationale Viertel, schätzt den Flüchtlingshelferkreis, in dem sie mitarbeitet. "Herzensoffen", nennt sie die Messestädter mit einer ihrer leise-schönen Wort-Kreationen, die auch kennzeichnend sind für ihren neuen Gedichtband mit dem Titel "Todsichere Sache. Vom Leben mit dem Sterben".

Die Liebe zur Türkei hat die Liebe zum Mann und die Ehe überdauert. Man kann Barbara Yurtdas eine Botschafterin nennen, eine, die Menschen vernetzt, in Veranstaltungen einen differenzierten Blick vermittelt, für mehr Unterricht der Sprache wirbt. Über türkische Politik will sie nicht viele Worte machen. "Das wissen wir doch alle. Und auch hier will ja keiner von einem Ausländer für Merkels Politik gelobt oder getadelt werden." Sie will lieber herausstreichen, wie viele Menschen in der Türkei kritisch einerseits und hilfsbereit andererseits seien. Dass Merkel die Türkei derzeit brauche, daraus könne Gutes, eine neue Verbindung erwachsen: "Das hoffe ich."

Barbara Yurtdas referiert und diskutiert am Freitag, 19. Februar, 19.30 Uhr, unter dem Titel "Unbekannte Literatur entdecken" im Wagnis-3-Veranstaltungsraum an der Heinrich-Böll-Straße 75.

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Quelle:
SZ vom 19.02.2016
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