Messestadt Riem:Ein bisschen Süden

Lesezeit: 3 min

Der Platz der Menschenrechte in der Messestadt Riem hat Atmosphäre. Die Ruhe, die er ausstrahlt, lässt vergessen, wie erbittert vor zehn Jahren seinetwegen gestritten wurde: zuerst um die Gestaltung, dann um den Namen

Von Renate Winkler-Schlang, Messestadt Riem

Es klingt gewaltig, es klingt nach Anspruch. Platz der Menschenrechte. Der Münchner Platz der Menschenrechte liegt ganz im Osten, in der Messestadt Riem, hinter dem Einkaufstempel Riem Arcaden. Ein zugleich sonniger und schattiger, lebendiger und ruhiger Platz, einer mit "Campanile", mit großen, knorrigen Kiefern, mit einem Kunstobjekt, schweren Eichenquadern als Sitzgelegenheit, mit Atmosphäre. Es ist schön, ihn zu überqueren und noch schöner, hier zu verweilen. Fast vergessen ist, wie umstritten die Namensgebung und die Gestaltung waren. Dabei ist das erst zehn Jahre her. 2005, rechtzeitig zur Bundesgartenschau, war der Platz fertig.

Sitzquader aus Eichenholz. (Foto: Catherina Hess)

Stadtplatz, so lautete seinerzeit der Arbeitstitel der Messestadt-Planer; ein etwas absurder Begriff, denn von Anfang an war klar: Der große Platz zwischen U-Bahn und Arcaden, der Willy-Brandt-Platz, der soll für alle sein, für die internationalen Gäste der Messe und der Hotels, für die Kunden der Arcaden, die aus der ganzen Stadt kommen. Hinten dagegen war eine Art "gute Stube" der Messestadt gewünscht, der intimere Ort für die Bewohner.

Diese Bewohner, vor allem die Pioniere der Messestadt, waren ein kritisches Völkchen, waren sie doch deshalb in ein unfertiges Viertel gezogen, weil sie hier noch darauf hofften, mitgestalten zu können. Und beim Stadtplatz, da wollten sie ganz besonders gerne mitreden und mitgestalten. Die Idee des Landschaftsarchitekturbüros Valentien und Valentien, den Platz nicht zu pflastern, sondern Kiefern zu pflanzen, um ihn eher heiter und informell zugestalten, fand anfangs gar keinen Anklang.

Ein Kunstobjekt in Form einer Tafel, die an die Rechte auf Nahrung und Kommunikation erinnert. (Foto: Catherina Hess)

Wer wolle schon ein Wäldchen, hieß es abschätzig. Auch von der Kirche kam Kritik: Der Durchgang neben dem Kirchenzentrum sei ja viel zu schmal. "Die Menschen wollten es heimelig, mit Springbrunnen und Kräuterspirale", erinnert sich Donata Valentien. Ihr Mann Christoph, als Uni-Professor firm in Ideen-Vermittlung, organisierte dann eine Bustour für die Kritiker, zum Hofgarten und zum Karl-Preis-Platz, um die Dimensionen der immerhin 13 600 Quadratmeter zu veranschaulichen, und zuletzt zu einem mit Kiefern bestandenen Eck in Neubiberg. "Ab da war keine einzige Stimme mehr gegen die Kiefern", erinnert sich die Planerin. Auch der Pfarrer sei nun zufrieden gewesen.

Eine abstrahierte Tafel mit 30 Gedecken: Das Kunstobjekt zum Thema Menschenrechte stammt von Wolfgang Winter und Berthold Hörbelt. (Foto: Catherina Hess)

Für die Landschaftsplaner begann dann ein zweiter Kampf, einer gegen die Normen der Stadtverwaltung. Eine schrieb vor, dass nur kerzengerade und daher pflegeleichte Bäume zu pflanzen seien: "Wir wollen aber gerade die bizarren Formen", so Valentien. Weil Kiefern gerade en vogue waren, war der Markt in Süddeutschland leergefegt. Mit einem städtischen Beamten reisten sie 2004 zu Baumschulen in Norddeutschland, feilschten um jedes Baum-Individuum, ließen jedes der mehr als 90 Nadelgewächse verplomben, sodass auch gewiss kein anderer geliefert werde.

Knorrige Kiefern prägen den Platz der Menschenrechte, der in den Landschaftspark übergeht. (Foto: Catherina Hess)

Nächstes Thema: Sitzgelegenheiten musste man aus dem Katalog erlaubter Stadtmöblierung aussuchen, die modernsten stammten aus der Zeit von Olympia 1972, "Couchgerippe nach Feuersbrunst", habe ein Kollege sie genannt, sagt Valentien. Für die junge Messestadt wollten die Valentiens etwas anderes. Das gelang mit einem Trick: Die Eichenstämme, auf denen man auch liegen oder turnen kann, wurden einfach nicht als Bänke definiert.

So richtig Vorfreude auf ihren Platz gab den Messestädtern die Kunde, er könnte Platz der Menschenrechte genannt werden. Im Bezirksausschuss war die Reaktion ganz anders: Der damalige Vorsitzende Georg Kronawitter (CSU) fürchtete ebenso wie einzelne Anlieger, dass Radikale das Areal zum Aufmarschplatz für Demonstranten, Gegendemonstranten und Polizeihundertschaften machen könnten. Noch mehr aber wurmte ihn, dass die Messestadt als Standort für einen Platz dieses Namens erst in Betracht kam, als andere Optionen ausgeschieden waren. Und vor allem ärgerte ihn, nicht gefragt worden zu sein, obwohl Bezirksausschüsse das Recht auf Namensgebung haben. Doch der Ältestenrat des Stadtrates erklärte, das Thema sei stadtübergreifend wichtig, Kronawitter kam nicht einmal gerichtlich dagegen an. Heute gesteht er zu, dass der Platz auf der "Sonnenseite der Arcaden" gelungen, die Demo-Befürchtungen völlig unbegründet waren. Außer an eine Lesung jüdischer Namen zur Jahrestag der Pogromnacht kann sich auch SPD-Stadtrat Ingo Mittermaier nur noch ungenau an größere Veranstaltungen erinnern. "Irgendwas mit Ude" sei da mal gewesen.

Die Messestädter selbst aber beflügelte die Benennung, daran erinnert sich Heinrich Tardt, der Geschäftsführer der Kulturetage. Sie gründeten sogar einen Arbeitskreis und widmeten ein ganzes Sonderheft der Stadtteilzeitung Take off den Menschenrechten und deren Verletzung. Ein Brunnen kam für sie plötzlich nicht mehr in Frage: Während ein Großteil der Weltbevölkerung kein sauberes Trinkwasser habe, könne man es hier nicht verschwenden, so das neue Argument. Dafür aber wollten sie ein passendes Kunstwerk: Bürger und Jury einigten sich auf die "Tafel" der beiden Frankfurter Künstler Wolfgang Winter und Berthold Hörbelt. Eine abstrahierte Tafel mit 30 ausgestanzten Gedecken gemahnt nun daran, dass sowohl Nahrung wie auch Kommunikationsfreiheit Menschenrechte sind. Die Artikel der Menschenrechts-Charta sind als eine Art erbauliches Tischset weiß auf grün in dieses benutzbare Fragment eingraviert.

Und es wird benutzt. Manchmal als Radlständer, was nicht gern gesehen wird, von Kindern als Klettermöglichkeit, von Jugendlichen als Treffpunkt, einmal im Jahr aber ganz bewusst für "Nehmt Platz", ein buntes Fest des AK Menschenrechte, zu dem jeder etwas beisteuert, wie Organisatorin Eva Döring berichtet. Zum Zehnjährigen plant sie diesmal etwas größer.

Für den Platz ist das Kunstwerk ein Hingucker, es dominiert ihn aber nicht und verhindert keine der anderen Aktivitäten, sei es der Flohmarkt des Familienzentrums oder das Boule-Turnier des Sportvereins. Nicht nur bei solchen Gelegenheiten wirkt der Platz der Menschenrechte, als läge er irgendwo im Süden, in Italien oder Frankreich. Ein bisschen Urlaubsgefühl kommt auf, ein Anreiz zur Entschleunigung entsteht. Die Menschen jedenfalls, die eilig vom Einkaufen oder von der U-Bahn kommen, gehen hier langsamer.

© SZ vom 01.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: