Süddeutsche Zeitung

Messestadt Riem:Ein Albtraum namens ALB

Experten informieren die Anwohner, wie man den Asiatischen Laubholzbockkäfer, der im Riemer Wäldchen östlich der Messestadt entdeckt wurde, am besten bekämpfen kann

Von Renate Winkler-Schlang, Messestadt Riem

Ein kleiner Feldahorn und zwei große Löcher: Das genügt den Behörden, um auch im Riemer Wäldchen östlich der Messe mit dem Zirkel einen 100-Meter-Kreis zu ziehen und vom 8. Juni an darin alles zu fällen, was als potenzielle Wirtspflanze für den Asiatischen Laubholzbockkäfer ( ALB) gilt. Der erste Befall innerhalb der Stadtgrenze: Da kommt Angst auf, man hat Bilder im Kopf vom Riemer Park ohne Bäume, sogar schon Sorgen um den Englischen Garten.

Die für Befall in Wäldern zuständigen Experten vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Ebersberg , aber auch ihr Kollege von der Landesanstalt für Landwirtschaft, sowie Jan Lindner, Forstbetriebsleiter der Stadt, reagieren mit Information und Transparenz. Bei den rund 30 Besuchern des Infospaziergangs zum befallenen Ahorn am Donnerstagabend war denn auch von Hysterie nichts zu spüren. Intensiv gefragt wurde aber schon, die Teilnehmer dachten sich quasi hinein ins Gemütsleben des äußerlich attraktiven Schädlings.

Der erste Besucher, der auf den Start wartete, war sogar ein Insektenfreund: Er habe früher Käfer gesammelt und präpariert, hoffe nun, den ALB sehen zu können. Der Mann wurde nicht enttäuscht. Die Experten Andreas Egl, Michael Matusek und Sascha Michalak hatten Anschauungsmaterial an den Waldrand transportiert: Tote Käfer, befallene Holzstücke, auf die der schon bewährte erste bayerische ALB-Spürhund Jule wie wild reagierte. Es gab Broschüren und an einer Wäscheleine festgeklammerte Übersichtskarten.

Über die Biologie wussten viele der Interessierten - darunter Mitglieder des Bezirksausschusses, des Messestadt-Bürgerforums und des dortigen Arbeitskreises Ökologie - ohnehin bereits aus den Medien Bescheid: Aus China, Taiwan und Korea wird der ALB eingeschleppt, meist mit Paletten. Das Gemeine ist: Er baucht lebendiges Holz, befällt kerngesunde Bäume, legt 30 bis 200 Eier, die binnen zwei Jahren in einer Puppenkammer zu Käfern werden und beim Weg ans Licht die charakteristischen kreisrunden Ausbohrlöcher hinterlassen. Weil er groß und träge ist, bleibt er oft an der selben Adresse, bis der Saftfluss unterbrochen ist, Pilze eindringen und der Baum abstirbt.

"Gesucht wird mit Spürhunden, mit Fernglas, Baumkletterern, mit Fallen." Weil alle diese Methoden nicht ganz sicher sind, wird das laut Egl "enorme Schadpotenzial" mit den Fällaktionen eingedämmt. Das geschlagene Holz wird untersucht, von Menschen und Hunden, der Radius gegebenenfalls gleich entsprechend erweitert, alles wird sofort in Container verpackt, gehäckselt und verbrannt. Nach weiterem Befall wird innerhalb einer Zwei-Kilometer-Zone gesucht.

Dass gerade die Naturfreunde, die sich zu diesem Infospaziergang eingefunden haben, jeder verlorene Baum schmerzt, ließ sich an der Art ihrer Fragen leicht erkennen: Ob nun hier alles bald kahl sein werde? Ob der Käfer denn nicht erst recht weit ausschwärme, wenn man ihm in unmittelbarer Nähe die Leibspeise entziehe? "Dann wird er doch sicher in der Not auch Baumarten anfressen, die bisher als sicher gelten, wie etwa die Eiche", meinte ein Mann. "Was ist mit natürlichen Feinden wie dem Specht?", fragte eine Frau: Werde der dem Laubholzbockkäfer nicht Herr? Und überhaupt: Ob die Wissenschaft irgendwo auf der Welt schon ausreichend positive Erfahrungen habe mit diesem Fällen von oftmals noch vom ALB unberührten Bäumen? Könne man ihn nicht stattdessen mit Duftstoff-Fallen locken? Mit Schädlingsbekämpfungsmitteln traktieren? Oder einfach fressen lassen? Schließlich sei er doch immerhin ein "natürlicher" Schädling? Ein Teilnehmer wusste von einem Palmen-Schädling, der so laut kaue, das man ihn mit sensiblen Mikrofonen aufspüren könne: "Denkt man auch in diese Richtung?"

Kenntnisreich beantworteten die Baum-Fachleute alle Fragen: Das wirksame Gift sei hier nicht zugelassen. Ein Specht komme nicht so weit rein ins Holz. Duftstoffe wiederum seien niemals so anziehend wie die Natur selbst. Geforscht werde zwar in alle Richtungen, derzeit aber sei die beste Option, die Population auszurotten. Somit stelle sich die Frage nicht, ob der Käfer sich dann sogar schneller weiterbewege. Wenn, dann werde er jedoch gegen die Windrichtung, also gen Westen, wandern: "Der Wind bringt die Lockstoffe. Und das schwere Tier fliegt leichter gegen den Wind." Einziger Trost: Es werde nicht Tabula rasa gemacht, Eichen, Kiefern, auch Sträucher bleiben stehen. Die Kosten der Aktion und der Verlust an später gewinnbringendem nutzbarem Holz belaufen sich auf etwa 20 000 Euro, schätzte Jan Lindner den Verlust für die Stadt, der das 17 Hektar große und 1993 als ökologische Ausgleichsfläche gepflanzte Wäldchen gehört.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2499059
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 30.05.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.