Messestadt Riem:Beraten, aber nicht behandeln

Lesezeit: 2 min

Das Gesundheitsreferat eröffnet eine Außenstelle in der Messestadt. Es bedauert selbst, damit nicht die fehlende Kinderarztpraxis in diesem Viertel mit überdurchschnittlich vielen Familien ersetzen zu können

Von Renate Winkler-Schlang, Messestadt Riem

Im Neubaugebiet am U-Bahnhof Messestadt Ost wird das Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU) 2018 eine Außenstelle eröffnen. Die Stadt will dafür in dem Gebäudekomplex mit Wohnungen, Läden und sozialen Einrichtungen, den die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewofag im kommenden Jahr baut, Teileigentum erwerben, der Gesundheitsausschuss des Stadtrats hat dafür 1,5 Millionen Euro bereitgestellt und die laufenden Kosten bewilligt.

Letztlich versucht die Behörde damit auch, einen Dauer-Missstand zu kompensieren - den Mangel einer Kinderarztpraxis im kinderreichsten Viertel der Stadt. Bekanntermaßen gibt es seit Jahren viele Gründe, warum sich keine Praxis dort niederlässt: Zum einen genehmigt die Kassenärztliche Vereinigung keine neue Praxis, weil München stadtweit rechnerisch sogar eher überversorgt ist. Es verlegt aber auch keiner seine Praxis dorthin, weil einerseits aufgrund der hohen Zahl der geförderten Wohnungen die Zahl der Kassenpatienten in der Messestadt überdurchschnittlich hoch ist und Ärzte meist mit einer Mischkalkulation arbeiten.

Zum anderen fehlt auch bezahlbarer Praxisraum. Seit Jahren kämpfen Generationen von Messestadt-Müttern um diese wohnortnahe Grundversorgung, das Bürgerforum hatte sogar selbst per Anzeige in einem Mediziner-Fachblatt für den Standort Messestadt geworben. Es gab auch einmal den Versuch eines Kinderarztes, eine wöchentliche Sprechstunde im Familienzentrum der Messestadt einzurichten, doch Masern, Mumps und Röteln richten sich nicht nach Öffnungszeiten, Kinder mit akuten Krankheiten können nicht warten, bis morgen oder übermorgen mal der Arzt da ist.

Die Stadt wird sich zwar für eine kleinräumlichere Bedarfsplanung bei der Kassenärztlichen Vereinigung stark machen; doch darüber diskutiert man auch schon lange und es ist unklar, ob und wann das greifen könnte. Aber selbst wenn die ersehnte Praxis je eröffnet - die im neuen Gesundheitsvorsorgezentrum geplante Prävention und Beratung könnte sie ohnehin nicht ersetzen - nur ergänzen, erklärt das Referat für Gesundheit und Umwelt. Der Bedarf an Vorsorge in der Messestadt sei groß, denn von den derzeit 13 450 Bewohnern erhielten überdurchschnittlich viele Arbeitslosengeld oder Grundsicherung; viele Haushalte würden von der Bezirkssozialarbeit betreut.

In der Messestadt leben Menschen aus mehr als hundert Nationen. Der Anteil der Familien in einem Viertel betrage in München im Schnitt 16,7, in der Messestadt jedoch 48,6 Prozent. Im Sozialmonitoring des Sozialreferats ist die Messestadt daher als Stadtteil mit hohem sozialen Handlungsbedarf von Rang 27 im Jahr 2009 auf Rang 7 im Jahr 2014 hochgerutscht. Zwischen sozialer Lage und Gesundheit bestehe aber ein enger Zusammenhang, "gesundheitliche Chancengleichheit" müsse gefördert werden.

2015 hatte die Münchner Aktionswerkstatt G'sundheit im Auftrag des RGU 30 Bewohner und 30 Einrichtungen in der Messestadt befragt. Die Bewohner führten vor allem den fehlenden Kinderarzt an, die Einrichtungen verwiesen auf übergewichtige Kinder, häusliche Gewalt und drohende Verwahrlosung. Auch bisher ist das RGU nicht ganz untätig: Hausbesuchsdienst bei Familien mit Kleinkindern, die regelmäßige Präsenz einer Schulärztin einmal die Woche an der Lehrer-Wirth-Schule, das Kariesprophylaxe-Programm und die Vorsorge für die Flüchtlinge an der Willy-Brandt-Allee führt die Behörde an. Um aber den Anforderungen gerecht werden zu können, müssten all diese Dienste einen Fixpunkt im Viertel haben und die Chance, direkt hier Teamsitzungen, Gruppenangebote oder Sprechstunden anzuberaumen.

Im neuen Zentrum sollen auch Gruppenangebote oder individuelle Beratung in gesundheitlichen Fragen möglich sein, auch in verschiedenen Sprachen. Alle Initiativen zur Unterstützung einer gesunden Lebensweise oder für bessere Lebensbedingungen im Stadtteil könnten dort andocken, heißt es weiter. Auch Impfaktionen oder Sprechstunden Dritter, etwa von Krankenkassen oder Selbsthilfegruppen, hätten dann einen guten Standort. Von dort aus könnte auch nicht versicherten Patienten geholfen werden.

An Personal stellt sich das Referat eine Sozialpädagogenstelle, eine Stelle für eine medizinische Fachangestellte und auch eine halbe Stelle für einen Kinder- oder Jugendmediziner oder Kinder- und Jugendpsychiater vor. Hier komme aber leider wirklich nicht der Kinderarzt durch die Hintertür auf dem vom RGU ausgerollten roten Teppich, unterstreicht RGU-Sprecher Alois Maderspacher: "Das eine ist Vorsorge, das andere wäre Versorgung. Das sind zwei Paar Stiefel. Leider."

© SZ vom 04.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: