Süddeutsche Zeitung

"Handwerk & Design" in der Messe München:Ketten in der Hauptrolle

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Auf der Sonderschau "Schmuck" sind dieses Jahr Arbeiten von 66 Künstlerinnen und Künstlern zu sehen. Aber auch anderswo in der Stadt wird Autorenschmuck zelebriert.

Von Ira Mazzoni

Dieses Wochenende dreht sich in München wieder alles um die älteste Kunstform der Welt, neu aufgeladen von Künstlern unserer Zeit: Schmuck. Auslöser und Fokus des Events ist die Sonderausstellung Schmuck auf der Internationalen Handwerksmesse. 1959 von Herbert Hofmann ins Leben gerufen, spiegelt die Schau faszinierende Positionen zeitgenössischer Schmuckkunst. Aus 650 Bewerbungen aus aller Welt hat die vielfach ausgezeichnete Britin Caroline Broadhead dieses Mal Arbeiten von 66 Künstlerinnen und Künstlern ausgewählt. Nicht Broschen, sondern Ketten spielen die Hauptrolle. Die Schau ist sehr britisch, sehr weiblich, konsumkritisch und politisch.

Zur Tradition der Sonderausstellung Schmuck gehört auch, dass vier Tischvitrinen einem "Klassiker der Moderne" gewidmet werden. Annamaria Zanella, strahlende Vertreterin der Paduaner Schule, gehörte zu den Konstanten der Sonderschau. Kaum eine Jurorin, kaum ein Juror kam um ihre poetischen Arbeiten herum. Sie verstarb überraschend am 8. November des vergangenen Jahres. Spontan entschied sich das Ausstellungsteam, sie posthum als Klassikerin zu ehren. Ihr Mann Renzo Pasquale traf die Auswahl, die Überraschungen birgt - etwa ein Collier aus teils vergoldeten Sektverschlüssen. Nun ruhen die verzaubernden Relikte eines sprühenden schöpferischen Lebens wie in einem Schneewittchen-Sarg.

In der ganzen Stadt wird Autorenschmuck zelebriert. Internationale Galerien sind zu Gast, genauso wie die Abschlussklassen der Kunsthochschulen. In diesem Jahr hat sich die Maxvorstadt und vor allem die Theresienstraße zu einem Hotspot entwickelt, wo die alte Avantgarde auf aktuellste Produktionen trifft. An diesem Wochenende bietet sich die letzte Gelegenheit, flanierend auf Entdeckungstour zu gehen. Erstmals hat die Stadt München direkt am Marienplatz einen Infopoint eingerichtet. Dort findet man Hinweise auf alle Ausstellungen, Veranstaltungen und Events - auch auf die, die nicht mehr in das gedruckte Programm aufgenommen werden konnten.

Zu den Konstanten im Münchner Schmuckkosmos gehört die Galerie Handwerk. Mit ihrer hochkarätigen Ausstellung erinnert sie daran, dass zum Schmuck von Anfang an auch das Gerät gehörte: Raffinierte Schalen und Gefäße der Silberschmiede, wie etwa die formvollendeten Arbeiten des Hildesheimer Ehepaares Ulla und Martin Kauffmann. 1941 geboren, geben die Meister ihre Werkstatt auf. Ihr Werk ist nun abgeschlossen. So legt sich über die Ausstellung Schmuck und Gerät die Wehmut des Abschieds aber zugleich gibt es auch Zuversicht auf Kontinuität und Neuanfang. So überzeugt die junge Felicia Mülbaier mit ihren hauchdünnen, plastisch gewölbten Steinschliffen aus verunreinigtem Lapislazuli.

Seit 20 Jahren präsentiert die Galerie Wittenbrink in den Fünf Höfen ganzjährig Autorenschmuck neben Malerei, Skulptur und Fotografie. 11 000 Passanten ziehen täglich an den schmalen Außenvitrinen vorbei und mancher bleibt staunend hängen. Zur Schmuckwoche präsentieren die Wittenbrinks vor dem Wandposter einer Renaissance-Goldschmiedewerkstatt von Etienne Delaune Ringe von Henriette Schuster und Vanitas-Broschen von Florian Weichsberger: sorgfältig oval geschliffene Spiegelbruchstücke sind als kleine Medaillons gefasst, die Spiegelseite nach innen, die blinde Rückseite nach außen.

In der Fürstenstraße, zu Gast in der Galerie Klaus Lea, geben Marianne Schliwinski und Jürgen Eickhoff Ihren Abschied. Ihre Galerie Spektrum in der Türkenstraße war seit 1981 Vorreiter für internationalen zeitgenössischen Schmuck in München. Mit völlig neuen Präsentationsformaten und spektakulären Inszenierungen weckten sie Aufmerksamkeit für die Avantgarden aus den Niederlanden, Tschechien und Deutschland. Mit der Schenkung ihrer privaten Sammlung von Arbeiten von Peter Skubic legten sie den Grundstein für die Schmucksparte im Design-Museum Neue Sammlung. Schon länger in Karlsruhe ansässig, gibt das Künstlerpaar den Galeriebetrieb nun altersbedingt auf. Bei ihrer Abschiedsvorstellung bieten sie Einblicke in die Œuvres der Künstler, denen sie seit langem verbunden sind: Georg Dobler, heute Professor in Hildesheim, war schon in der ersten Spektrum-Ausstellung 1981 vertreten. "Interno" hieß die erste Einzelausstellung von Ruud Peters 1992.

Hoch konzentriert auf kleinstem Raum gastiert Ellen Maurer-Zilioli im Kunstbüro-Reillplast in der Amalienstraße - auch sie inzwischen ohne feste Galerie-Adresse in der Stadt des Autorenschmucks. In Bezug auf die große Therese-Hilbert-Retrospektive in der Pinakothek der Moderne zeigt die Galeristin und Kuratorin, die auch Hilbert vertritt, Werke von Künstlern die zum engsten "Familienkreis" zählen: Feinste reliefartige, in Kunststoffrahmen gespannte Seidenwebereien von Melanie Isverding und eine aus Meerschaum geschnitzte Brosche von Otto Künzli.

Die Galerie Biro ist die einzige, nur auf künstlerischen Schmuck spezialisierte Galerie in München

Keinesfalls versäumen sollte man, die kleine Galerie Biro in der Zieblandstraße zu besuchen - die einzige, seit 30 Jahren bestehende, ausschließlich auf künstlerischen Schmuck spezialisierte Galerie in München. Gäbe es einen Preis für die schönste Schmuckinszenierung dieser Tage, dann müsste sie Margit Jäschke für "Kairos" bekommen. Die Hallenser Künstlerin hat das Kunstkabinett mit einer illusionistischen Wandmalerei verzaubert. Auf resedagrünen, gemalten Sockeln präsentiert sie ihre Broschen, die teils selbst wie Gemälde wirken. Was auf den ersten Blick aussieht, wie schweres Emaille, ist in der Regel eine selbst entwickelte, auf Karton aufgebrachte farbige Kunststoffmasse. Jäschke wurde gerade mit einer großen Retrospektive im Grassi Museum Leipzig, im Schmuckmuseum Pforzheim und wird demnächst im Museum Kunst und Gewerbe Hamburg geehrt. Das Intermezzo in der Galerie Biro bietet eine beglückende Kurzfassung.

Abschluss und Höhepunkt der Schmuckwoche bildet jeweils die Eröffnung einer großen Werkschau in der Rotunde der Pinakothek der Moderne. Sie ist diesmal, endlich, Therese Hilbert gewidmet, die seit 1972 in München lebt und arbeitet: Ihr bevorzugtes Material ist Silber. Ihre beharrlich geformten Stücke können spitzen Waffen gleichen, sie können Düfte und Geheimnisse bergen, hintergründig und untergründig glühen. Rot ist der selbstgewählte Titel ihrer Ausstellung. Rot wie die Liebe, das Feuer, der Zorn.

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