Landestheater Schwaben:Not ohne Tugend

Landestheater Schwaben: Schwieriges Zusammensein: In "Ende in Lachen" ist der Esstisch ein zentraler Treffpunkt der Familie - und Konfliktherd.

Schwieriges Zusammensein: In "Ende in Lachen" ist der Esstisch ein zentraler Treffpunkt der Familie - und Konfliktherd.

(Foto: Monika Forster)

Was passiert, wenn das Familienoberhaupt plötzlich zum Pflegefall wird? Nora Schüssler geht mit ihrem Stück "Ende in Lachen" dieser Frage nach.

Von Yvonne Poppek, Memmingen

Es ist ein Thema, das gerne in die Ecke des Gehirns geräumt wird, die für die Verdrängung zuständig ist: Pflege im Alter. Die Politik hat es ja vorgemacht, das Problem lässt sich so lange ignorieren, bis ein Notstand eintritt. Dann fliegt es einem um die Ohren, milde ausgedrückt. Dass das Alter, die Pflege und auch der altersbedingt herannahende Tod Stoffe sind, die einmal auf die Bühne drängen, hätte sich nicht unbedingt vermuten lassen. Wer schaut sich schon gerne das an, was er eher wegschiebt? Und wie lässt sich ein solches Thema kritisch, unterhaltsam, würdevoll, trotzdem theatral umsetzen?

Mehrere Abende zeigen, dass das geht, soeben etwa einer am Landestheater Schwaben mit dem Titel "Ende in Lachen". Er ist Teil eines Themen-Trends, bei dem die Münchner Kammerspiele die Vorreiter waren. Diese brachten schon 2021 das Hörstück "Unsichtbar" über eine Pflegekraft heraus, dann den aufwendig recherchierten Abend "Who cares - Können Roboter pflegen?". Das Residenztheater ging, wenn man so will, mit etwas mehr dramatischer Tradition zu Werk und holte im Herbst mit "Der Stiefel und sein Socken" ein altes, todesnahes Paar von Herbert Achternbusch auf die Bühne. In diesen Tagen geht es dann Knall auf Fall: Gerhard Polt und die Well Brüder brachten "A scheene Leich" zum Thema Sterben in die Kammerspiele. Am kleinen "Theater ... und so fort" beschäftigt sich ein Solo mit Gerd Lohmeyer damit, dass es ins Heim gehen soll. Am Staatstheater Nürnberg hat das Rechercheprojekt "Exit - Sterben für Anfänger*innen" von Wenzel Winzer Premiere. Und Memmingen reiht sich mit "Ende in Lachen" ein.

Seit dieser Spielzeit gibt es am Landestheater eine Interimsleitung bestehend aus Christine Hofer und Alexander May. Sie werden mit der Spielzeit 2024/25 von der Regisseurin und Autorin Sarah Kohrs abgelöst, wie am Mittwoch bekanntgegeben wurde. Hofer und May haben diese Saison mit "Andere Menschen fühlen" überschrieben und die Autorin Nora Schüssler mit einem Stück zu Pflege, Alter und Familie beauftragt, das im Allgäu verortet sein sollte. Schüssler hat ein Kammerspiel geliefert, fein nuanciert und dramaturgisch geschickt aufgebaut. Im Zentrum steht Familienoberhaupt und Brauereibesitzer Bonifazius Bengele, tyrannisch, machtbewusst, jede Schwäche verdrängend. Als er eines Tages stürzt und ins Krankenhaus muss, wird bei ihm Parkinson diagnostiziert. Von da an geht es bergab.

Auf dem Weg seines zunehmenden Verfalls begleiten ihn seine zweite, deutlich jüngere Frau Maria und seine erwachsenen Kinder Ferdi und Leni. Ferdi versucht die Brauerei zu retten, die sein Vater ihm partout nicht überlassen will. Streit ist an der Tagesordnung. Bonifazius' Liebling ist Leni, deren Erdenmittelpunkt allerdings sie selbst ist. Die Konflikte schaukeln sich hoch, bis schließlich alles kollabiert.

Es geht nicht um die ökonomischen Probleme

Schüssler hat mit "Ende in Lachen" das Pflege-Problem nicht in die Durchschnittsfamilie verlegt, es geht ihr nicht um die ökonomisch oft schwierige Seite, sondern um das Emotionale, auch um Tradition, verkrustete Hierarchien, um Überforderung und auch darum, wie wenig man auf diese Entwicklung vorbereitet ist. Dazu hat sie den Figuren Raum zur Entwicklung gelassen. In der Grundkonstellation einer Familie findet sie genug Konfliktpotenzial, das sich mit der Pflegethematik explosiv zünden lässt.

In Memmingen setzt Regisseur Stephan Rumphorst darauf, die Situation zu verschärfen, die Figuren eindeutiger auszulegen und ein wenig Vorabendserien-Dramatik einzubauen. André Stuchliks Patriarch gehört in die Kategorie Serienfiesling, dem Mirjam Smejkal eine geschmeidige Frau an die Seite stellt. Ihr verfällt - unnötiger Seitenstrang - Sohn Ferdi, weich gezeichnet von Tom Christopher Büning. Die Intrigantin, die es in solcherlei Konstellationen braucht, ist Tochter Leni, herrlich egozentrisch ausgedeutet von Almut Kohnle.

Trotz all dieser Zuspitzungen auf der großartigen Baukasten-Bühne von Inés Diaz Naufal verplätschert der Abend nicht im Ungefähren. Die Thematik verfängt, weil das Bühnengeschehen in vielen kleinen Szenen eine wahrscheinliche Familiensituation beschreibt, das Publikum konfrontiert, eine Auseinandersetzung einfordert. Genau dies tun die anderen Abende zur Pflege im Alter auch. Sie nutzen die Kraft der Bühne, um unübersehbar zu machen, was zu lange schon verdrängt wurde. Dafür ist es wohl an der Zeit.

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