Members only:Wenn Türsteher die Muse küsst

Lesezeit: 4 min

Zwei neue Bücher berichten Absonderliches aus dem Münchner Nachtleben: Da wird gepimpert, gewatscht und gekokst, dass Bukowski eine Freude daran hätte.

Michael Zirnstein

Wäre das Buch "Members only" ein Club, der Türsteher hätte versagt. Die Party steigt, aber der Autor hat zu viele nichtsnutze Worthülsen hereingelassen, überall plärren einem Schenkelklopfer ins Ohr, die Weibsbilder sind obszön, Rechtschreibnieten drängeln sich auf der Tanzfläche, Satzzeichen torkeln betrunken umher, und kein Edelmann weit und breit, der den Leser auf etwas Geistreiches an der Bar einlädt.

Clubs in München
:Viel Lärm im Nichts

Rauchzeichen am Münchner Nachthimmel zeigen einen Wandel an. Wo Menschen zuhauf am Trottoir stehen und paffen, brennt auch drinnen in den Clubs die Luft. Nie wurde mehr und länger weggegangen entlang des westlichen Altstadtrings - zwischen Maximiliansplatz und Müllerstraße. Ein kleiner Nachtspaziergang.

Als Fister von 1994 an zehn Jahre lang "König der Türsteher" am P1 war, ist ihm so etwas nie passiert. Auch in seinen eigenen Läden, deren Pforten er nach 2004 als Mitinhaber öffnete - dem Crown's Club, dem Penthaus und dem 8 Seasons - wusste er, worauf es ankommt. Er kennt die Regeln und Fettnäpfchen des Diskogeschäfts. Die des Schreibens sind ihm neu.

Es ist nichts dagegen zu sagen, dass eine Club-Persönlichkeit wie Damir Fister sich kulturell anderweitig verwirklicht. Viele tun das: Markus Frankl vom Nage & Sauge hat das Selbsterfahrungs-Buch "Wer nichts wird, wird Wirt" geschrieben. Wanja Belaga war vor seiner Zeit als Macher der Monofaktur Konzertpianist und will es jetzt, danach, wieder mehr sein. Max Braunmiller vom 089 ist Artefakt-Restaurator, modelt und malt; sein Compagnon Christian Haidinger soll mal für eine Pro7-Reihe den Architekten gegeben haben. Wenn Ivi "Club 2" Vukelic keine Konzerte veranstaltet, sondern Hollandräder vom Flohmarkt herrichtet, erinnert seine Hingabe und Fingerfertigkeit an die eines Bildhauers.

Bei Giulia Siegel war's andersrum. Sie schauspielert, modelt und moderiert, und ging mal nebenher mit dem Club Mia baden. Wenn es sich denn bei der "hauptberuflichen Nachkommin eines im Hintergrund Fäden ziehenden Musikbarden", die Fister beschreibt, um sie handelt, dann sei sie als DJ am unbegabtesten.

"Dessen ungeachtet hatte die Plattenverdreherin so einige Fans... und zwar unter den Taubstummen, denn die konnten ihr nicht einmal sagen, was sie da so miserables nicht zu hören vermochten." Fister verdreht auch gerne: Worte, mal platt, mal zugegebenermaßen so dreist, dass man sie sich selbst noch einmal durch- und anderen vorlesen möchte. Bei Fister regnet es nicht einfach, da "öffnet sich die zornige Himmelsblase".

Fister musste im Dienst "nur" 50 mal die Fäuste sprechen lassen. Er habe lieber mit seiner scharfen Zunge gekämpft. "Tomcraft", stammelte mal ein bekannter DJ am Einlass seinen Künstlernamen - "Türkraft", tönte Fister und schloss die Pforte. Ganz witzig. Nur badet er sich 287 Seiten lang in seinem Sprachschaumbad, bis es lau ist.

Etwa in der Schilderung eines "Elfmeterschießens" zwischen einer Fußballergattin und einem Mit-Türsteher: Der "schnappt nach ihren Bällen und besprenkelt den kurzgeschnittenen Rasen ihrer löchrigen Abseitsfalle... In der zweiten Halbzeit sorgte sie allerdings mit ihrem ständig nach vorne stoßenden Mittelfeld für einen schnellen Einstand zum 3:3. Camel antwortete mit einer Bananenflanke in die Tiefe, dann folgte ein Beinschuss und sie musste (...) das 4:3 hinnehmen. Konditionell voll auf der Höhe blies sie zum letzten Angriff(...)"

Steile Prosa eben, wie Fister sie sich vorstellt. Da wird gepimpert, gewatscht und gekokst, dass Bukowski eine Freude daran hätte. Da fühlt sich einer als Homer, der seine eigenen Heldensagen hinausposaunt, von einem Olymp vergangener Tage, den Pauschalclub-Reisende nur von unten kennen. Das meiste stand schon in der Bild. Und dazwischen stellt "die Nummer eins" die Fragen aller Fragen: Gibt es einen Gott? Wer bin ich? "Diese Ungewissheiten unseres sternenverklebten Universums nagten Tag für Tag wie ein tollwütiger Hamster an meinen enormen Eingeweiden, und ich widmete mich dem Studium des Lebens."

Und noch ein paar Nachtgeschichten

Da gibt es noch so einen: Roman Libbertz, Betreiber des Privée. Der führt am Montag (3. Februar 2008) um 22 Uhr im P1 einen kleinen Film vor, den er mit seinem Spezl Ben Tewaag ("Sohn einer lederhäutigen Schauspielerin", so Fister) gedreht hat. Auch er hat ein Buch, das er signieren wird. So viel Vorurteil darf sein: Man möchte es nicht mögen. Weil Libbertz der 30-jährige sorgenfreie Spross eines Staranwalts und eines Models ist, weil er selber modelt, weil er sein Werk prahlerisch "Triebjagd - 31 gute Nachtgeschichten" getauft hat, weil es die Sammlung einer Internetkolumne ist, die ein Wodka-Hersteller sponsert, den er auf fast jeder Seite schleichbewirbt, et cetera.

Aber es geht nicht. Das Buch ist von Anfang an gut und wird immer besser. Eine Fundgrube an Partyfragmenten, Katergedanken, Liedtexten, Gedichten, Lausbuben-Geschichten und Bewusstseinsstrom, der ein echter Sog ist. Da hat einer Rainald Goetz gelesen und verstanden, dazu Tucholsky, Handke und viele mehr.

Libbertz hat mit seinem Kumpel Nilz Bokelberg eine Lese-Talk-Show auf dem jungen Literatur-Sender Lettra. Er nutzt jeden Kanal für seine Fotos, Bilder, Texte und Filme (einen seiner ersten hat er bereits 1996 mit den "Das Leben der anderen"-Produzenten Quirin Berg und Max Wiedemann gemacht): "Mein Blog - Mein Flickr - Mein Youtube" steht sendungsbewusst über seiner labyrinthischen Internetseite. Mal stellt er Kunst in Clubs aus, mal geht er mit Freunden als "Literarische Zukunft Deutschlands" auf Lesereise.

Libbertz schreibt, seit er als Zehnjähriger eine Adler-Schreibmaschine unterm Weihnachtsbaum fand. Das merkt man. In drei Sätzen erzählt er mehr über die Bussi-Bussis als Fister in einem ganzen Kapitel. "Eine Frau hat zu viel getrunken und sackt in den Armen ihrer Begleitung zusammen. Ich will helfen und frage, ob ich einen Arzt rufen soll. ,Nein, sie ist Ärztin'."

Er beherrscht das von Fister für die Tür aufgestellte "Gesetz der Knappheit": Je weniger er hineinlässt, umso mehr möchte man selbst hinein. Fister steht drüber, Libbertz steckt drin. Fister erklärt sich (um Absolution zu bekommen), Libbertz befragt sich. Ein Ass hat Fister noch im Ärmel: "Ich selbst besitze heute noch Fotos, die hübsche Frauen in weniger hübschen Ohnmachtsposen zeigen und beweisen, dass Kotze auch ein stilistisches Ausdrucksmittel für moderne Kunst sein kann." Besser, er macht wieder einen Club auf und keine Galerie.

© SZ vom 04.02.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: