Süddeutsche Zeitung

Interview:Politik der Liebe

Die Jazz-Sängerin Melody Gardot über ihr neues Projekt mit Philippe Powell, das die beiden in der Isarphilharmonie vorstellen.

Von Oliver Hochkeppel

Dass Musik heilen kann, beweist niemand so schön wie Melody Gardot. Mit 19 wurde sie 2003 auf dem Fahrrad von einem Geländewagen niedergestreckt. Während ihres langen Krankenhausaufenthalts begann sie zu komponieren und Gitarre zu lernen. Ein Freund stellte gegen ihren Willen Lieder ins Internet, ein Radiosender entdeckte sie - der Auftakt zu einer steilen Karriere trotz chronischer Schmerzen, Lichtempfindlichkeit und Gedächtnisproblemen. Nachdem ihr erneut eine Krankheit - diesmal die Corona-Epidemie - einen Strich durch die Rechnung machte, ist sie nun endlich wieder mit ihrer bezwingenden Mischung aus Jazz (sie stammt aus Philadelphia), Latin (sie hat viel Zeit in Portugal und Brasilien verbracht) und Chanson (sie lebt inzwischen überwiegend in Paris) auf Tour. Und macht nun auch am 14. November in der Isarphilharmonie zusammen mit ihrem neuen musikalischen Partner Station, dem Pianisten und Produzenten Philippe Powell, Sohn der Bossa-Nova-Legende Baden Powell, mit dem sie auch das aktuelle Album "Entre Eux Deux" aufnahm.

SZ: Ihr neues Projekt klingt französischer als alle zuvor. Hat Paris einen besonderen Einfluss auf Sie gehabt?

Melody Gardot: Das Projekt ist zunächst den Momenten gewidmet, in denen Philippe und ich zusammen waren. Und da steckt eine große Liebeserklärung an Paris darin. Es gibt eine große Traditionslinie des Einflusses dieser Stadt auf Musiker, speziell in unserem Genre. Ein Song des Albums etwa ist die Adaption von Philippes Vater eines Pierre-Barouh-Songs aus dem Claude-Lelouch-Film "Un Homme Et Une Femme", in dem er auch mitgespielt hat. Barouh arbeitete mit Baden Powell und mit John Coltrane, vor allem aber war er generell eine wichtige Figur, was die Öffnung der Türen für die brasilianische Musik in Frankreich betrifft. Unsere Version von "Plus Fort Que Nous" und "Samba Em Prelúdio" sind also eine Hommage an ihn und daran. Das war der Anker für das Duo-Projekt von mir und Philippe: Von der Vergangenheit aus konnten wir voranschreiten zu dem, was wir jetzt sind, und zu eigenen Stücken. Und Songs wie "Fleurs Du Dimanche" und "La Tour Eiffel" haben natürlich damit zu tun, was vor unseren Augen lag, sind also mit Frankreich im Geist entstanden. Ich glaube, kein Künstler bleibt unbeeinflusst von dem, was vor seinem Fenster passiert.

Wie haben Sie und Philippe Powell sich kennenlernt?

Wissen Sie, Musiker kennen Musiker, man läuft sich über den Weg und redet übereinander. So bin ich auch Phillipe schon mal irgendwo in der Peripherie begegnet. Ich habe aber nicht begriffen, was für ein großartiger Musiker, Komponist und Mensch er ist, bis wir uns in Paris näher kamen. Es war ein Dreischritt: Erst diese unverbindlichen Begegnungen. Dann konnte für eine Fernseh-Präsentation meines vorigen Albums "Sunset in the Blue" wegen Corona meine US-Band nicht anreisen. Ich musste eine kleine Besetzung in Paris zusammenstellen. Ich rief Philippe an, weil ich wusste, dass er singt und wie er Klavier spielt. Wir probten kurz und am Schluss dieses Fernseh-Auftritts spielte er einen Akkord, der mich umhaute. Ich schaute ihm direkt in die Augen, noch mitten auf der Bühne und sagte: Ich will ein Album mit dir machen.

Das haben Sie offensichtlich nicht bereut?

Nein, ich habe so einen Riesenrespekt vor ihm als Musiker und als Komponist. Er ist so vielseitig, er spielt auch Gitarre, aber vor allem bringt mich seine Art Klavier zu spielen dazu, mit dem Klavierspielen aufhören zu wollen (lacht). Wir touren schon sechs Monate zusammen, und jeden Tag überrascht er mich aufs Neue. Kommt dazu, dass dies für mich etwas Neues war: nach der Routine mit meiner Band, mit der ich so lange arbeite, und den großen Produktionen jetzt etwas ganz Intimes, Zerbrechliches. Sehr herausfordernd und erfrischend.

Ist es eine Erweiterung ihres Gesangs-Stils in Richtung Chanson? Selbst in Ihren englischen Songs meint man einen französischen Akzent zu hören.

Nicht absichtlich. Aber das ist interessant. Ich mag den Gedanken. Melodien selbst haben oft einen Akzent, bevorzugen eine Sprache.

Ihr Tourplan ist anspruchsvoll. Es geht Ihnen also körperlich gut?

(Lacht) Ich habe gerade erst einen Osteopathen für heute Abend gebucht. Schauen Sie: Vor zehn Jahren war es mörderisch, vor fünfzehn nahezu unmöglich. Vergleichsweise ist es jetzt ein Spaziergang. Ich war so stolz, als ich ohne Stock auftreten konnte. Aber gerade erst, ich glaube in Hamburg, musste ich das Konzert im Sitzen spielen. Das war schrecklich. Aber es ist, wie es ist. Ich mache es, weil ich es liebe.

Sie hatten früher politische Songs im Repertoire, um nicht zu sagen Protestsongs. Jetzt scheint es mehr um das allgemein Menschliche zu gehen. Ist die Lage so hoffnungslos?

Ist das nicht politisch: die Politik der Liebe? Ich sehe die Welt nicht, wie sie die meisten Leute sehen. Wenn ich fernsehe, versuche ich, mich nicht von den Schlagzeilen und Nachrichten heimsuchen zu lassen. Weil ich sehr empfindlich bin. Generell gesprochen: Wir befinden uns ja nicht erst jetzt an einem Wendepunkt. Das hat sich schon sehr lange entwickelt. Als Amerikanerin sehe ich eine Menge Rückwärtsbewegungen, die mir sinnlos erscheinen. Was in meiner Heimat vorgeht, ist für mich unglaublich und schockierend. Dass man anstatt gegen Umweltverschmutzung und Klimazerstörung vorzugehen, Frauen vorschreibt, wie sie mit ihrem Körper umzugehen haben. Im Iran dasselbe. Ich habe persische Freunde, es ist unglaublich. Es ist diese Top-down-Mentalität der Politik, die alle so frustriert. Aber als Musikerin und Autorin kann ich mich nur mit dem befassen, was in meiner direkten Wahrnehmung passiert.

Ganz etwas Anderes: Könnte nicht Till Brönner als Gast einsteigen. Er war schon als Gast bei Alben von Ihnen dabei, aber sie waren, denke ich, noch nie zusammen auf der Bühne?

Ja, das stimmt. Das aktuelle Repertoire passt vielleicht nicht. Aber grundsätzlich ist das eine tolle Idee.

Melody Gardot feat. Philippe Powell, Mo., 14. Nov., 20 Uhr, Isarphilharmonie, Tel. 21 83 73 00

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