#MeineMiete:Gefangen in der Zwischenmiete

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Menschen auf Immobiliensuche behelfen sich oft mit Übergangslösungen und stecken dann dort fest, weil sie auf dem angespannten Markt nichts finden. Die Soziologin Saskia Gränitz forscht über Arten der Wohnungsnot

Von Birgit Kruse

Eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt ist nicht in Sicht. Wie gehen Menschen mit der Krise und ihrer eigenen Wohnungsnot um? Mit solchen sozialen Fragen beschäftigt sich die Soziologin Saskia Gränitz. Die 29-Jährige arbeitet seit dem Jahr 2015 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie forscht und lehrt am Lehrstuhl für soziale Entwicklungen und Strukturen. In ihrer Dissertation untersucht sie empirisch den Zusammenhang von Wohnungslosigkeit und Wohnungskrise, sie hat sich als Forschungsobjekte zwei Städte ausgesucht: Leipzig und München.

SZ: Die Lage auf dem Wohnungsmarkt verschärft sich in München immer weiter. Wann hat der Kampf um Wohnraum eigentlich begonnen?

Saskia Gränitz: Die Knappheit an Wohnraum ist kein neues Phänomen. Seit Beginn der Moderne herrscht in den Metropolen Wohnungsnot. Infolge der Industrialisierung zogen die Menschen in die Städte, in denen es Arbeit gab. Die meisten kamen aus den unteren sozialen Schichten und konnten sich kaum ein Dach über dem Kopf leisten. Wohnraum ist an Grund und Boden gekoppelt und daher keine Ware wie jede andere, sondern notwendig monopolisiertes Eigentum. Zugleich ist Wohnen ein existenzielles Bedürfnis. Das treibt in Ballungszentren die Mieten für alle in die Höhe, nur manche trifft es härter als andere. Die Geschichte des Wohnraummangels ist auch die Geschichte von Lohnarbeit, Marktgesetzen und fehlender politischer Regulierung.

Es hat historisch eine Rolle gespielt, wie viel Einfluss Politik auf den Markt ausübt.

Die Politik trägt eine Verantwortung, der sie mal besser und mal schlechter gerecht wird. Die Phasen des 20. Jahrhunderts, in denen es in einigen Wohlfahrtsstaaten ausreichend Wohnraum gab, waren politisch stark reguliert. Der Staat hatte in der alten Bundesrepublik massiv in den sozialen Wohnungsbau investiert. Für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen gab es Zugang zu preisgebundenem Wohnraum. Von Obdachlosigkeit war eine Minderheit betroffen, von der sich die Mittelschicht distanzierte. Seit den Neunzigerjahren beobachten wir eine Zunahme von prekären Wohnverhältnissen - bis in die Mittelschicht hinein. Staatliche Interventionen in Form einer aktiven Wohnungspolitik haben seither deutlich abgenommen. Dass sich die Lage spätestens seit der Wirtschaftskrise 2007 auch in Deutschland wieder verschärft, wollte die Politik lange nicht sehen.

Gerade der Wohnungsmarkt in München ist besonders angespannt. Wie wirkt sich das auf Lebensentwürfe jüngerer Menschen aus?

In München nimmt zum Beispiel das Maß an Überbelegung von Wohnungen zu. Ein klassisches Beispiel sind Paare, die erst einmal in die Einzimmerwohnung des Partners ziehen, um sich eine größere Wohnung zu suchen, und nichts finden. Dann wird aus einer Übergangslösung ein dauerhaftes Problem - auch für die Beziehung. Ich habe mit Personen gesprochen, die ihren Kinderwunsch aufgrund der schwierigen Wohnsituation ernsthaft in Frage stellen.

Ob es mit der Wohnung geklappt hat, ist unbekannt. Doch das Graffito in der Unterführung an der Thalkirchner Straße steht für die verzweifelte Suche Vieler nach einer neuen Bleibe. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Besonders betroffen sind Menschen, die in prekären Verhältnissen leben und Anrecht auf eine Sozialwohnung hätten.

Unter den Antragsberechtigten ist die Überbelegungsquote in Wohnungen meist sehr hoch. Zum Teil leben vier Menschen in einem Zimmer. Diese Menschen sind akut von Wohnungslosigkeit bedroht. Jedoch erhalten nur etwa zwölf Prozent der Antragsteller eine Sozialwohnung.

Diese Menschen verharren in der Wohnungsnot. Was bedeutet dieser Begriff?

Letztlich handelt es sich dabei um die Grauzone zwischen Wohnungslosigkeit und sicherem Wohnen, ein Phänomen, das häufig verdrängt wird. Die aus wissenschaftlicher Sicht wichtigsten Kriterien dafür hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe aufgestellt. Demnach ist jemand in Wohnungsnot, der keinen eigenen Mietvertrag oder Untermietvertrag hat, der also in keinem rechtlich abgesicherten Wohnverhältnis lebt. Und ohne Mietvertrag keine Anmeldung auf der Meldebehörde.

Wie muss man sich ein solches Leben vorstellen?

Ich habe in München eine Person getroffen, die fast alle prekären Situationen schon einmal selbst erlebt hat. Sie ist in wenigen Jahren mehr als zehn Mal umgezogen, hat auf engstem Raum gewohnt, auf Sofas geschlafen, und auch Zustände hingenommen, die gesundheitsgefährdend waren.

Welche Strategien entwickeln Menschen, um mit der Situation umzugehen?

Ich muss sagen, dass man nicht immer klar zwischen Ursache und Wirkung unterscheiden kann. Man kann kaum verallgemeinern, wie Personen mit prekären Wohnsituationen umgehen. In vielen Fällen zeigt sich, dass die eigenen Erfahrungen mit temporären Wohnformen zu persönlichen Strategien im Umgang mit der Wohnungsnot werden.

Haben Sie ein Beispiel?

Wenn eine Person beispielsweise Erfahrungen im Zusammenleben mit einem älteren Menschen gemacht hat, wird genau das zu seiner Suchstrategie für die nächste Bleibe. Man sucht genau nach solchen Mitwohnangeboten, die häufig günstiger sind als normale WG-Zimmer. Andere springen von Zwischenmiete zu Zwischenmiete. Letztlich führt das dann wiederum zu einer Gewöhnung an die Wohnumstände. Bei einigen gehen so die Idealvorstellungen vom guten Wohnen und vom guten Leben verloren. Hier kann man schon nicht mehr von einem Lock-in-Effekt sprechen, in dem Menschen nicht aus zu beengten Wohnverhältnissen herauskommen. Hier geht es schon um ein Lock-out-Phänomen...

Wer lange in prekären Wohnsituationen lebt, gewöhnt sich irgendwann daran, sagt die Wissenschaftlerin Saskia Gränitz: „Bei einigen gehen die Idealvorstellungen vom guten Wohnen verloren.“ (Foto: Hajü Staudt; Illustration Jessy Asmus)

... also um Menschen, die gar nicht mehr am Wohnungsmarkt teilnehmen?

Genau. Sie haben keine realistischen Aussichten, in ein rechtlich gesichertes Mietverhältnis zu gelangen. Sie sind vom Markt ausgeschlossen, manchmal nur wegen eines befristeten Arbeitsvertrages.

Warum ziehen die Menschen dann nicht aus München weg?

Das habe ich mich immer wieder gefragt. Eine Erklärung ist, dass es in München mehr Arbeit gibt als in anderen Städten. Auch soziale Bindungen halten die Menschen in der Stadt oder das eigene Kind.

In den vergangenen Jahren kann man beobachten, dass es in München immer weniger Sozialwohnungen gibt. Muss nicht einfach wieder mehr investieren werden?

Es ist eine zentrale Aufgabe des Staates, die Verantwortung für die Bevölkerungsgruppen zu übernehmen, die sich nicht mit angemessenem Wohnraum am Markt versorgen können. Aus meiner Sicht macht es aber keinen Sinn, an den alten Konzepten des sozialen Wohnungsbaus fest zu halten. Sonst kommen nach immer kürzeren Belegungsbindungen staatlich subventionierte Wohnungen auf den freien Markt.

Wie müsste nachhaltiger Wohnungsbau aussehen?

Ich würde gern die Idee der Gemeinnützigkeit wieder starkmachen, auch wenn die rechtliche Grundlage dafür 1990 abgeschafft wurde. Die Vorschläge für eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit enthalten bestimmte sinnvolle Regularien für das Bauen: dauerhaft gesicherte Preis- und Belegungsbindungen etwa, damit Mietbelastungen nicht über 30 Prozent des Haushaltseinkommens steigen. Denn ein Zusammenhang ist alarmierend. Die Menschen, die in Wohnungsnot geraten sind, hatten zuvor meist eine Mietbelastung von über 40 oder 50 Prozent zu tragen. Das betrifft in München zirka jeden fünften Mittelschichtshaushalt und mehr als zwei Drittel der armen Haushalte.

© SZ vom 20.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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