Meine Woche:Schottischer Frust

Janie Ferguson

Anglistikdozent Jamie Ferguson ist enttäuscht über den Brexit.

(Foto: privat)

Anglistikdozent Jamie Ferguson ist Schotte - und ziemlich enttäuscht über den Brexit. Jetzt denkt er darüber nach, sich für die deutsche Staatsbürgerschaft zu bewerben.

Von Helena Ott

Als der 31-Jährige vor elf Tagen früh aufgewacht ist, konnte er einfach nicht glauben, dass sich so viele Menschen in seiner Heimat gegen die Europäische Union (EU) gewandt haben. "Ehrlich gesagt war ich unheimlich enttäuscht." Moment mal! Jamie Ferguson - Anglistikdozent an der Ludwig-Maximilians Universität - kommt aus Bathgate, einem kleinen Ort bei Edinburgh und ist damit Schotte. Seine Landsleute haben zu 62 Prozent für den Verbleib in der EU gestimmt. "Ich fühle mich trotzdem nicht wohl damit, zu einer Gemeinschaft zu gehören, in der fremdenfeindliche Tendenzen keimen" und meint damit das gesamte Königreich und den Zulauf zur rechtspopulistischen United Kingdom Independence Party (Ukip).

Der junge Schotte kann aus dem Stand einen ganzen Vortrag mit Vorzügen der EU heruntersagen. Hätte es den Staatenbund nicht gegeben, wäre es ihm vor fünf Jahren nicht so leicht gefallen, Schottland zu verlassen, um sich mit seiner deutschen Freundin eine Zukunft in Sendling aufzubauen. "Als ich damals eine Stelle in München bekommen habe, konnte ich schon nach zwei Wochen das Arbeiten anfangen." Ferguson berichtet, dass amerikanische Kollegen viel mehr Hürden zu überwinden hatten und lange auf eine Arbeitserlaubnis warten mussten.

In den vergangenen Tagen hat er sich oft gefragt, ob er sich für die deutsche Staatsbürgerschaft bewerben soll. "Ich fühl' mich als Schotte, die Staatsbürgerschaft Großbritanniens bedeutet mir nichts." Eine Option sei auch, spontan um die Hand seiner Freundin anzuhalten; damit wäre es einfacher, den deutschen Pass zu bekommen. Doch für langfristige Planungen sei nicht der richtige Moment: "Die Verfechter des EU-Austritts haben keine konkreten Pläne. Für uns Schotten ist das ein großes Gefühl der Unsicherheit". Ferguson erzählt, dass sein Vater, der noch 2014 gegen die Unabhängigkeit gestimmt hatte, bei einem zweiten Referendum sicher für ein eigenständiges Schottland mit EU-Beitritt votieren würde.

Soweit denkt Ferguson noch nicht. In dieser Woche muss er seine Studierenden erst einmal durch die Sprachprüfung bringen. 15 Stunden in der Woche hält er Seminare für englische Sprachpraxis. Seinen schottischen Akzent kann er dabei nicht versteckten. Nach dem Unterricht wartet ein Stapel Texte, die er korrigieren muss. Die Vorfreude auf das anstehende EM-Halbfinale, dass er sich am Donnerstag nach getaner Arbeit ansehen will, ist groß. "Ich habe richtig gefeiert, als die Isländer Großbritannien nach Hause geschickt haben." Jetzt drückt er die Daumen für das deutsche Team.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: