Süddeutsche Zeitung

Meine Woche:München mit allen Sinnen

Stadtführerin Martina Sepp auf nächtlicher Entdeckungstour

Von Justus Wilke

Man wäre ein schlechter Stadtführer, wenn man immer das gleiche machen würde", sagt eine der vielleicht erfahrensten Stadtführerinnen in der Landeshauptstadt München. Schon während ihres Studiums hat die Kunsthistorikerin Martina Sepp Schulklassen die Innenstadt gezeigt. Nun arbeitet sie seit fast drei Jahrzehnten freiberuflich unter anderem als Stadtführerin für das Münchner Bildungswerk. Ob das dann nicht irgendwann langweilig werde? Keineswegs, sagt Sepp. "Man selbst lernt auch immer dazu, weil man seine Sinne schärft." Ganz nach diesem Motto konzipiert Sepp auch eigene Stadtführungen, wie die "Nacht der Sinne". Bei dieser Tour erkunden Münchner ebenso wie Touristen das Stadtzentrum mit all ihren Sinnen: Tasten, Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken und zuletzt der siebte Sinn, "das Übersinnliche", wie Sepp ihn nennt.

Auch die Nacht an diesem Dienstag wird eine "Nacht der Sinne" sein. Dann beginnt Sepps Abend um kurz nach 20 Uhr. Im Lehel schwingt sie sich aufs Rad und fährt wenige Minuten bis zum Marienplatz. Ihr Rucksack sei immer vollgepackt mit Utensilien, die sie für ihre Führung brauche: eine Glaskugel, Bonbons, Parfum und einiges mehr. Von 20.30 Uhr an führt sie ihre Gruppe von Station zu Station. Die sieben Sinne bilden den Rahmen, das Thema ist jedoch das Nachtleben, wie es früher in München gewesen ist. Die Tour solle eine gute Mischung aus Unterhaltung und Lernen sein, sagt Sepp. "Nicht nur Show und reißerische Storys, sondern auch gute Informationen mit Qualität."

Unter anderem macht die Stadtführerin Halt an der Hochbrückenstraße, wo einst der Katzenbach floss. An der Stelle haben Stadtbewohner früher ihre Fäkalien entsorgt. Anfangs habe Sepp an dieser Station Stinkbomben eingesetzt, damit die Teilnehmer den üblen Geruch von damals nachempfinden könnten. Inzwischen versprüht sie lieber Parfum. Ein weiterer Stopp ist an der Kunstmühle Jakob Blum, die einzige aktive Getreidemühle Münchens. Dort holt Sepp Pfennigmuckerl aus ihrem Rucksack. Mit dem bayerischen Brot stärkt sich die Gruppe und kommt gleichzeitig auf den Geschmack traditioneller Bäckereikunst.

So geht es munter weiter, bis die Gruppe das Stadtzentrum mit allen Sinnen ausgekostet hat. Zum Abschluss gibt Sepp noch eine Runde "Betthupferl" aus. "Das sind Bonbons, die früher die Kinder bekommen haben, um ins Bett zu gehen" - beziehungsweise zu hüpfen. Kurz nach 22 Uhr hat Sepp Feierabend und ist so erschöpft, dass sie direkt nach Hause fährt: "Dann gönn' ich mir höchstens selbst noch ein Betthupferl und geh' ins Bett."

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Quelle:
SZ vom 21.09.2020
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