Süddeutsche Zeitung

Meine Woche:Der Geist von Europa

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Für Gerd Venzl, 71, kennt Engagement keine Altersgrenze

Von Fabian Huber

Von Berg am Laim aus gesehen scheint die Beamtenmetropole Brüssel weit weg zu sein. Doch mal ehrlich: Gegen die Trumps, Putins und Xis dieser Welt kann sich das 6,31 Quadratkilometer kleine Stadtviertel nur in einem gemeinsamen Europa behaupten. 46 000 Berg am Laimer leben mit mehr als einer halben Milliarde EU-Bürgern - Franzosen, Österreichern und Bogenhausern - seit Jahrzehnten in Frieden, Dankesgrüße gehen nach Brüssel. Und wenn die Luft am Innsbrucker Ring einmal wieder im Rachen kratzt, dann kann der Berg am Laimer auf EU-Grenzwerte verweisen (und hoffen, dass sie auch einmal eingehalten werden).

So ähnlich steht es in einem Thesenpapier, das Gerd Venzl mit wachem Blick fixiert. Natürlich sind manche Punkte mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Aber ernst meint es der Rentner schon mit der Demokratie, mit Europa und mit derer beiden Bedeutung für Berg am Laim. Venzl ist Mitglied der überparteilichen Initiative "Berg am Laim für Frieden, Freiheit, Demokratie und Europa". Aus den humorigen Thesen, die die Gruppe in den vergangenen Wochen zusammengeworfen hat, soll ein Flyer werden. Wann genau, das ist noch nicht klar. Doch die Zeit drängt, am 26. Mai ist EU-Wahl. "Bis zum kommenden Wochenende muss das stehen", sagt Venzl. Also werden sich die Mitglieder wohl noch in dieser Woche treffen.

Der 71-jährige Physiker ist ein Europafreund der ersten Stunde. Die Zeiten, in denen man auf Reisen Schlagbäume passieren und in Lire, Drachmen oder Francs zahlen musste, sind ihm noch gut in Erinnerung. "Für viele unter 30 ist das heutige Europa selbstverständlich. Beim Brexit hat man gemerkt, wozu das führen kann." Freiheit, Vielfalt, Teilhabe: Es sind Werte, die Venzls Alltag den Takt vorgeben, um die er sich angesichts populistischer Schwingungen Gedanken macht. Deshalb sein Engagement in der Berg am Laimer Initiative. Deshalb sein Seniorenstudium in Sozial- und Gesellschaftswissenschaften sowie Philosophie an der LMU.

Und deshalb auch das Demokratiemobil. Das zum Infostand auf Rädern umgebaute Feuerwehrfahrzeug des Kreisjugendrings München wird am Freitag und Samstag auf dem Willy-Brandt-Platz in der Messestadt Riem stehen. Auch hier geht es um die anstehende Wahl. Venzl wird da sein, Infozettel verteilen, über sein Europa sprechen. "Man kann die Demokratie zwar nicht von Berg am Laim aus retten", sagt er. "Aber man kann trotzdem versuchen, lokal aktiv zu werden." Und für einen kurzen Moment flackert der Geist von Brüssel durch Venzls Wohnung in Berg am Laim.

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Quelle:
SZ vom 06.05.2019
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